Aus den Feuilletons

Trostlosigkeit in der französischen Provinz

04:05 Minuten
Menschen in Frankreich protestieren gegen die Armut im Land. Sie halten die französische Nationalflagge hoch auf der geschrieben steht: "Wer die Armut sät, erntet die Wut."
Demonstranten mit französischer Flagge protestieren gegen die Armut im Land. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet über einen Fotoroman von Vincent Jarousseau, der das Leben verarmter Franzosen porträtiert. © Alain Pitton / Zuma Press / imago-images
Von Tobias Wenzel · 27.05.2019
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In der "SZ" werden Ausschnitte aus einem Doku-Fotoroman gezeigt, der das Leben in einer der ärmsten Gegenden Frankreichs abbildet. Angesichts dieses Buchs müsse man sich nicht über den Erfolg der Rechtspopulisten wundern, folgert das Blatt.

Wer die Seite 15 der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom Dienstag aufschlägt, der stutzt sicher erst einmal: Mehrere Fotos sind abgebildet; zusammen mit dem französischen Text in Sprechblasen erzählen sie die Geschichte des 31-jährigen Bauarbeiters Adrien. Die Aufmachung erinnere an die Lovestorys der "Bravo", schreibt Alex Rühle:
"Was dem Buch von Anfang an eine bittere Note gibt, denn statt hormonseliger Liebespaare werden hier Familien porträtiert, die vom 15. des Monats an nicht mehr wissen, wie sie die Kinder satt kriegen sollen."

Familien, die ihre Kinder nicht mehr satt bekommen

Vincent Jarousseau hat für seinen dokumentarischen Fotoroman "Les Racines de la colère" ('Die Wurzeln der Wut') acht Menschen, die in der Gemeinde Denain leben, in einer der ärmsten Gegenden Frankreichs, in ihrem Alltag begleitet. Wer sich noch darüber wundere, dass Marine Le Pen mit ihrem Rassemblement National so erfolgreich bei der Europawahl gewesen sei, solle unbedingt dieses Buch lesen. Das gibt es bisher allerdings noch nicht auf Deutsch.
Über die Protagonisten schreibt Rühle weiter:
"Alle schuften sie einsam vor sich hin, Gewerkschaften scheint es längst nicht mehr zu geben, nur Beton, Leerstand und Ausfallstraßen, abends die X-Box und 1500 Euro im Monat. 'Ich wähle Marine', sagt einer von ihnen, während er nachts Brot ausfährt, 25 Dörfer, zehn Euro die Stunde."

Leib- und Sexfeindlichkeit als Prämisse des Glaubens

Von Marine zu Maria: "Mehr Maria wagen", ruft Marlen Hobrack in der WELT aus. Die feministische Theologie fordere, die Rolle der Jungfrau neu auszulegen. Das könne Hobrack zufolge aber nur der Anfang sein. Die Kirche und die Gläubigen hätten sich bisher schwer mit Maria getan.
"Dass ihr keine Frau auf Erden das Kunststück mit der jungfräulichen Geburt nachmachen konnte, half nicht unbedingt bei der Identifizierung mit der Übermutter", bemerkt Hobrack und plädiert für eine "Maria 2.0".
"So, wie es falsch ist, Maria auf eine Rolle als demütige Magd festzuschreiben, sollten auch Katholikinnen die schroffe Zurückweisung durch ihre Kirche nicht länger dulden", schreibt Hobrack.
"Das Problem ist, dass zweitausend Jahre Kirchengeschichte von Männern geprägt wurden, die eine Leib- und Sexfeindlichkeit zur Prämisse des Glaubens machten, die der Lebenswirklichkeit der Gläubigen so grundsätzlich widerspricht."

Popstar Einstein beherrschte die Selbstvermarktung

"Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger aber doch reichlich primitiver Legenden", notierte Albert Einstein in einem Brief. Von Legenden zu Gerüchten ist es nicht weit.
"Laut Gerüchten soll er, sobald sich Fotografen näherten, sein Haar mit beiden Händen aufgewühlt und so den typischen Einstein-Look des exzentrischen Professors aufgefrischt haben", schreibt Rainer Zitelmann in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG und attestiert dem Begründer der Relativitätstheorie die Kunst der Selbstvermarktung.
Einerseits habe Einstein den Trubel um ihn herum genossen, andererseits sei ihm das alles manchmal zu viel geworden: "Bei seinen Besuchen in Amerika gab es immer wieder Szenen wie später in den 1960er Jahren bei Konzerten der Beatles. Mädchen kreischten, als wollten sie dem Professor die Kleider von Leib reissen", schreibt Zitelmann und versucht, dem Geheimnis von Einsteins Anziehungskraft auf die Spur zu kommen, indem er Charlie Chaplin zitiert, der gemeinsam mit Einstein auftrat und zu ihm sagte:
"Mir applaudieren die Leute, weil alle mich verstehen, und Ihnen, weil Sie niemand versteht."
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