Aus den Feuilletons

"Tourette-Kino" über Rainer Werner Fassbinder

04:11 Minuten
Rainer Werner Fassbinder als Schauspieler in einer Szene des Films "Kamikaze 1989". Er hat eine Pistole in der Hand und richtet sie offenbar auf jemand, der nicht zu sehen ist.
Mit Schnauzer, Wucht und Plauze: Rainer Werner Fassbinder hat es sich und anderen nicht immer einfach gemacht. © imago-images / Courtesy Everett Collection Film Movement
Von Arno Orzessek · 29.09.2020
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Der "Tagesspiegel" widmet sich Oskar Roehlers Film "Enfant Terrible" über Rainer Werner Fassbinder und bescheinigt Roehler "die offensichtlichste Methode, sich an Fassbinder abzuarbeiten: immer laut, immer vulgär, kotzen, schwitzen, ficken."
"Warum so bierernst?" fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG per Überschrift. Sie spielt jedoch nicht auf den teils angegrauten Zustand der hiesigen Gesellschaft im x-ten Monat der Pandemie an, sondern stellt in Kurzkritiken die "Serien des Monats September" vor.
Etwa den stark beworbenen ARD-Sechsteiler "Oktoberfest 1900". "Nicht geeignet für: Zuschauer, die holzschnittartiges Personal nicht mögen, von Dramen historische Stimmigkeit erwarten und glauben, dass Spannung mit Logik am besten funktioniert", lästert Franz Kotteder.

"Enfant Terrible" - wuchtig und zu offensichtlich

"Oktoberfest 1900" muss man also nicht gesehen haben. Aber sollte man sich im Kino Oskar Roehlers Film "Enfant terrible" über Rainer Werner Fassbinder antun? In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG stellt Andreas Kilb die elementarste aller Fragen: "Was sieht man in 'Enfant terrible'?"
"Man sieht Ausbeutung. Selbstausbeutung. Sadismus. Liebesunfähigkeit und Liebesgier. Preise und Todesfälle. Und einen Mann, der dies alles in Gang hält, der keine Zeit hat, der immer 'Los, los!' ruft, bevor er wieder in apathisches Brüten versinkt. Er hat sie gequält und berühmt gemacht, Hanna Schygulla, Margit Carstensen, Irm Hermann, aber keine von ihnen wollte in 'Enfant terrible' genannt werden." Insgesamt ist Andreas Kilb ziemlich zufrieden mit Roehlers Fassbinder Film.
Und insofern uneins mit Andreas Busche, der im Berliner TAGESSPIEGEL betont: "Der Ton des Films ist schnell gesetzt, 'Enfant Terrible' zurrt dreizehn Jahre auf 135 Minuten zusammen. Oliver Masucci spielt Fassbinder schon in jungen Jahren als die Ikone RWF: mit Schnauzer, speckiger Lederjacke und Plauze. Er rast wie eine Abrissbirne durch die Bühnenbilder; man kann sich dieser Wucht nur schwer entziehen. Aber es ist auch, zumal für Roehler, die offensichtlichste Methode, sich an Fassbinder abzuarbeiten: immer laut, immer vulgär, kotzen, schwitzen, ficken. Tourette-Kino."

Cancel Culture ist keine Unterstellung

"Wer stört, muss in die Schmuddelecke", lautet in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG eine Überschrift, die man auf die bundesrepublikanische Gesellschaft der 1970er Jahre und Rainer Werner Fassbinder beziehen könnte. Doch dem NZZ-Autor Thomas Ribi geht es um die umstrittene Cancel Culture.
Ribi behauptet: Die Cancel Culture, die Linksliberale als haltlos-fiese Unterstellung von Nicht-Linksliberalen abtun, die gibt es sehr wohl:
"Dass es in politischen und gesellschaftlichen Fragen keine unangreifbaren Wahrheiten gibt, sondern nur das stetige Ringen um Positionen, will man nicht wahrhaben. Was falsch ist, ist falsch und muss nicht diskutiert, sondern abgedrängt werden. Ob es um Corona, Flüchtlinge oder Genderfragen geht. Was die eigenen Denkgewohnheiten infrage stellt, was irritiert, provoziert, wird nicht bekämpft, sondern aus der Diskussion verbannt. Wenn möglich zu Tode geschwiegen. Toleranz? Selbstverständlich, aber nur so lange, als niemand die Unverschämtheit besitzt, sie herauszufordern. Debatte? Immer, aber bitte nur da, wo man sich in guter Gesellschaft weiss: unter Gleichgesinnten."

Auswirkungen des Homeoffice für die Städte

Die Tageszeitung DIE WELT stellt unterdessen fest: "Wenn immer mehr Menschen im Homeoffice arbeiten, werden sich unsere Städte ändern." Das dürfte irgendwie stimmen, na klar. Doch die Frage "Verschwinden damit auch die Häuser und Wohnungen, wie wir sie kennen?", die irritiert uns.
Denn "Homeoffice" heißt doch wohl, dass wir in den Häusern und Wohnungen arbeiten, die wir seit langem kennen. Und siehe da! Der WELT-Autor Dankwart Guratzsch erklärt ganz in diesem Sinne:
"Die neue Stadt des Homeoffice richtet sich in den vorhandenen Gebäuden ein, in Einfamilienhäusern, Gartenlauben, Siedlungen und Trabantenstädten, sogar in den ältesten Altstädten, die von Euphorikern des Fortschritts voreilig schon zu 'Museen' erklärt worden waren. Homeoffice stellt zwar neue Ansprüche an den Arbeitsplatz, hat aber kein Bauprogramm."
Nun denn. Wir sind für heute fertig. Und wünschen Ihnen trotz der blöden Pandemie so viel Lust am Leben, dass Sie am liebsten mit einem Titel der SZ ausrufen möchten: "Jabadabaduuu."
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