Aus den Feuilletons

Töne als Antidepressiva

04:09 Minuten
Der Pianist Fred Hersch durch den Deckel seines Flügels fotografiert.
Die Musik von Fred Hirsch sei voller leisem Witz und sanfter Melancholie, schreibt die "Welt". © IMAGO / Pacific Press Agency / Alessandro Bosio
Von Gregor Sander · 16.02.2021
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Die "Welt" ist ganz begeistert vom Jazzpianisten Fred Hersch. Der hat sein neues Album während der ersten Coronawelle in New York im Haus eines Freundes aufgenommen. Musik, mit der man sich auch in der Isolation wohlfühlt, findet die Zeitung.
Dass das mit dem Schreiben im Feuilleton gar nicht so einfach ist, erklärt uns Claudius Seidel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG: "Wer das Schreiben ernst nimmt, erlebt schon die Frage, ob er jetzt einen Punkt setzen solle oder lieber ein vorsichtigeres Semikolon, als erschütterndes inneres Drama. Selbst ein Zeitungstext kann so zum tief erlebten und heftig empfundenen Konflikt des Autors mit sich selbst werden. Und wenn er endlich fertig ist, der Artikel, dann spüren auch die sensibleren Leser, dass das, was da in der Zeitung steht, nicht nur erlebt, sondern manchmal geradezu erlitten ist."

Hygge statt Officehome

Bestätigt bekommt man diese These beim Hinüberblättern in die Tageszeitung DIE WELT. Dort verkündet Elmar Krekeler: "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum, – das gilt besonders in Zeiten der Isolation."
Und so wird Musik empfohlen, die laut Doktor Krekeler als Antidepressiva wirken. Etwa das Album des Jazzpianisten Fred Hersch, das dieser während der ersten New Yorker Coronawelle im Haus eines Freundes täglich zusammenspielte und gleichzeitig aufnehmen lies. Standards, Coverversionen, ein bisschen Joni Mitchell und auch Cole Porter ist dabei.
Der sensible Leser des Kreklerischen Textes spürt hier sofort, dass diese Musik erlebt, wenn nicht sogar erlitten wurde: "Vom medialen Getöse und dem Bombardement der Zahlen wundgeschossen, setzt man sich hin, drückt einen Knopf und fühlt sich wohl. Hersch macht jedes zum Officehome missbrauchte Wohnzimmer hygge. Aus den Klassikern werden intime Briefe, voller leisem Witz und sanfter Melancholie", schreibt der WELT-Autor. Was will man mehr?

Problem mit der Umsonstbespaßung

Vielleicht ein Comic aus dem ersten deutschen Corona-Lockdown? Ralf König hat es gezeichnet und erzählt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die Entstehungsgeschichte:
"Ich habe zuerst ein paar Corona-Cartoons auf Facebook gepostet, was ich sehr selten tue. Mit der Umsonstbespaßung habe ich ein Problem, ich lebe vom Buchverkauf. Aber dann ging das total durch die Decke. Alle saßen ja plötzlich auf dem Sofa und sollten zu Hause bleiben."
Da ja nun schon wieder alle auf dem Sofa hocken und zu Hause bleiben sollen, trifft Königs Corona-Tagebuch vermutlich auf empfängliche Leser. Mit Kornrad und Paul hat er auf altbekannte knollennasige Charaktere zurückgegriffen und erklärt Martina Knoben auch warum: "Wenn Charaktere anfangen, ein Eigenleben zu entwickeln, vereinfacht das vieles. Ich höre denen quasi nur zu. Konrad und Paul sind ideal für so einen täglichen Strip".

In Bremen fallen die Dinge schneller

Von einem der Stimmen hört, kommen wir zu einem Bürgermeister, der der Stimme eines seiner populären Stadtkinder gefolgt ist. Der Bremer Jan Böhmermann empfahl im ZDF Magazin Royal als Influencer-Paradies seine Heimatstadt an der Weser statt Dubai.
"Wann wird Bremen das höchste Haus der Welt errichten? Und ein paar künstliche Inseln vor Bremerhaven sollten schon drin sein", frotzelt Harald Hordych in der SZ und der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte antwortet: "Das wird wohl noch ein bisschen dauern. Aber wir haben ja den fast 150 Meter hohen Fallturm, in dem wir Experimente mit der Schwerelosigkeit durchführen. In dem Turm fallen Dinge viel schneller als irgendwo in Dubai."
Aber ob deutsche Influencer wirklich an der Erforschung des tiefen Falls interessiert sind? Da kehren wir doch lieber noch mal nach Köln zurück, das Ralf König in der SZ so beschreibt: "Köln ist normalerweise eine sehr anstrengende Stadt, mit zu vielen Menschen, zu viel Verkehr. Jetzt war die Stadt ein Luftkurort! Ist sie ja immer noch, nur das Wetter ist schlechter."
Eben. Und in diesem schlechten Wetter hätte normalerweise der Karneval stattgefunden, der nun auch enden würde. In der FAZ beschert ihm Hubert Spiegel immerhin ein sprachliches Ende: "Ohrenbetäubender Lärm hebt an. Gewaltige Schallwellen lassen den Dom erzittern. Die ganze Stadt vibriert. Es klingt, als würde sich mit einem Mal der Erdboden auftun. Dabei sind es nur die Kölner, die ihre Bücher zuklappen. Allerdings alle gleichzeitig. Befehl von oben. Am Aschermittwoch ist schließlich alles vorbei."
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