Aus den Feuilletons

Tödliche Flötenaerosole

04:22 Minuten
Eine Frau spielt eine Querflöte
Forscher haben den Flöten-Luftstrom untersucht: "Ein Tröpfchen-Tsunami saust ungehindert in den Raum", heißt es in der "SZ". © dpa / picutre alliance / Hauke-Christian Dittrich
Von Tobias Wenzel |
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Klassische Konzerte verbreiten weniger Aerosole als vermutet, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Die meisten Bläser lenkten den Luftstrom in ihr Instrument. Allerdings gehöre die Querflöte nicht dazu und sei darum eine besondere Corona-Gefahr.
"So selten ist es ja nicht, dass man nicht Bescheid weiß", schreibt Hans-Joachim Müller in der WELT. Und worüber man nicht mit absoluter Sicherheit Bescheid weiß, ist auf einem Foto abgebildet: die Büste einer lächelnden Frau. Darunter die Überschrift des Artikels: "Wie echt ist dieses Lächeln?"

Bode-Museum mit da Vinci Fake?

Gemeint ist die Büste der griechischen Blumengöttin Flora aus dem Berliner Bode-Museum. Die kaufte Wilhelm von Bode 1909 in der festen Überzeugung, sie sei von Leonardo da Vinci. Aber daran gibt es erhebliche Zweifel, erfährt der Leser von Müller, der wiederum auf die neue "Arte"-Dokumentation "Leonardo da Vinci und die Flora-Büste" verweist:
"Mit den monströsen Gerätschaften, die heute zur Verfügung stehen – C14, Radiokarbon, Protonenbestrahlung – ist unwiderlegbar bewiesen, dass das Flora-Wachs eine gehörige Portion Walrat enthält ('eine fett- und wachshaltige Substanz aus der Melone im Kopf von Pottwalen'), das tatsächlich erst im 18. und 19. Jahrhundert in handelsüblichen Mengen gewonnen werden konnte", schreibt Müller und bemerkt süffisant: "Vom frühneuzeitlichen Walfang ist ja nicht so viel überliefert."

Trotzdem sei damit nicht bewiesen, dass Leonardo diese Flora-Büste nicht geschaffen habe. Mit Blick auf den zu Leonardos Zeiten kostbaren Walrat könne man nicht mit Sicherheit ausschließen, dass er "oder seine Werkstatt von irgendeinem Mäzen ein Aliquot des ekligen Formschleims bekommen" habe.
Jetzt weiß der Leser etwas mehr Bescheid, allerdings zum hohen Preis, dass der Walfischschleim hartnäckig in seinem Gedächtnis kleben bleibt.

Beginn des Pandemiezeitalters

Da kann nur noch Schlimmeres ablenken: "Sprechen wir also endlich über eine Zukunft, in der Pandemien wie die Gegenwärtige so normal sind wie die Grippewellen", schreibt, ebenfalls im Feuilleton der WELT, Jörg Phil Friedrich. Der behauptet, die jetzige Pandemie habe ein ganzes "Zeitalter der Pandemien" eingeleitet. Also müssten wir uns jetzt schon fragen:
"Wollen wir alle paar Jahre die Wirtschaft, das soziale Leben, die Kultur- und Sportwelt so ausbremsen, wie wir es in diesem Jahr erlebt haben?" Friedrich spielt das am Beispiel der Kultur durch, wobei er einen sehr weiten Kulturbegriff bemüht, der vom Theater über die Geburtstagsfeier bis zur Kneipe reicht. Das seien eben nicht nur "Orte der Unterhaltung", sondern vielmehr "Orte der Begegnung".
Die Selbstverständlichkeit, mit der die Politik diese Kultur in der Pandemie zum Erliegen gebracht hat, könne dazu führen, dass Menschen zum Beispiel keine Kneipe mehr eröffnen oder kein Theater mehr besuchen. In Friedrichs Worten: "Man kann auch fernsehen, kochen, Modelleisenbahnen bauen, im Internet surfen oder den Garten umgraben." Dann drohe aber die Gesellschaft "zugrunde" zu gehen.

Aerosolforschung im Orchester

Also auf ins klassische Konzert! Ach nee, geht ja nicht. Und schon gar nicht, wenn Bläser dabei sind.
"Klassische Konzerte verbreiten weniger Aerosole als vermutet. Mit einer Ausnahme", berichtet Helmut Mauró in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Forscher der LMU München und der Universität Erlangen haben mit Musikern der BR-Symphoniker untersucht, welche Instrumente am meisten Aerosole freisetzen: "Die Blasmusiker begaben sich in einen dunklen Raum, nahmen einen tiefen Zug aus einer nikotinfreien E-Zigarette und bliesen dann in ihr Instrument", beschreibt Mauró die Versuchsanordnung.
Das Ergebnis: Nicht etwa die Trompete, sondern die Querflöte ist der traurige Sieger. "Denn während die meisten Bläser den Luftstrom in ihr Instrument lenken, führt der Flötist die kanalisierte Atemluft knapp über die Öffnung im Mundstück in den Raum. Das ist so wie beim Anblasen einer leeren Flasche. Somit gerät kaum ein Tröpfchen Aerosol in das Instrument, während ein Tröpfchen-Tsunami hingegen ungehindert in den Raum saust", erläutert Mauró. Die Überschrift seines SZ-Artikels: "Wenn Flöten töten".
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