Aus den Feuilletons

Theaterstück "Der Fluch" sorgt für Aufruhr in Warschau

PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski, aufgenommen im Bristol Hotel in Warschau nach seinem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel
Kritik kommt aus dem katholisch-konservativen Lager: Der Chef der regierenden PiS-Partei Jaroslaw Kaczynski hatte nach dem Wahlsieg im November 2015 gesagt, jeder, der die Hand gegen die Kirche erhebe, erhebe die Hand gegen Polen. © imago/ZUMA Press
Von Arno Orzessek · 10.03.2017
Unter dem Titel "Blasphemie" berichtet die "Welt" über Morddrohungen gegen Schauspieler in Warschau, die in dem Stück "Der Fluch" des kroatischen Regisseurs Oliver Frljić mitwirken. Darin wird Oralsex mit dem Papst inszeniert. Die Schauspieler reagieren im Stück auf die Drohungen.
"'Nicht immer nach Hitler suchen'", titelt die TAGESZEITUNG.
Denn eben das fordert – im Blick auf Donald Trump und angesichts bemühter Parallelen zum Nazi-Regime – der Historiker Ulrich Herbert im Gespräch mit dem TAZ-Autor Stefan Reinecke.
"Wir verstehen die Entwicklung in den USA nicht besser, wenn wir sie auf den Leisten des deutschen Faschismus ziehen [warnt Herbert]. Es gibt so viele Varianten des Autoritären, Diktatorischen – warum gerade Hitler? Warum nicht Putin, Erdoğan, Orban, Kaczyński oder von mir aus Franco oder Stalin? Wer nur auf die Naziparallele schaut, übersieht die spezifische und in der Tat sehr gefährliche Lage in den USA."
Die Gefahr erklärt Herbert so:
"Im Kern geht es um […] die Vorherrschaft der Weißen. Seit vor einigen Jahren bekannt wurde, dass in den USA die christliche weiße Mehrheit zahlenmäßig keine Mehrheit mehr ist, befindet sich die Rechte und mit ihr die Republikanische Partei in einer Art putativer Defensive. Sie sehen sich in einem Abwehrkampf gegen den Verlust der Dominanz. […] Diese Entwicklung hat sich schon seit den sechziger Jahren […] sukzessive aufgebaut. Nun hat man hier den Eindruck: letzte Chance. Jetzt oder nie mehr."
Okay! Damit hätte es der Trump-Komplex auch in diese Kulturpresseschau geschafft.

Georg Mascolo: Beschleunigung als Gefahr für Journalismus

Und, oh Wunder! Wenn wir in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG "Die Sieger und die Anderen" aufschlagen – der Artikel handelt vom Missbrauch der Demokratie -, finden wir darin ebenfalls den Namen Trump.
Christine Abbt betont:
"Das Verständnis von Demokratie, das Trump oder Orban einem zumuten und das gegenwärtig erstaunlichen Rückhalt bei Menschen genießt, die für sich selbst lauthals Freiheit und Mitbestimmung einfordern, ist […] strenggenommen nicht demokratisch. Es behauptet nicht die Herrschaft des ganzen Volkes, sondern die Herrschaft einer Mehrheit, die für sich den Begriff ‚Volk‘ in Anspruch nimmt."
Ein wahrer Gedanke - der allerdings nicht zum ersten Mal publik wird.
Dass in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der Artikel "Abteilung Irreführung" ebenfalls Donald T. streift, erwähnen wir nicht einmal…
Sondern zitieren Georg Mascolos Reflexionen über seriöse Berichterstattung.
"Irrtümer, falsche Einschätzungen, Übertreibungen oder schlechter Journalismus sind keine Fake News. Nur wenn Journalisten trotz später besseren Wissens erkannte Fehler nicht korrigieren, wird aus einem Irrtum eine Lüge. Journalismus lebt von sorgfältiger Abwägung und doppelter Überprüfung. Vereinfachung ist notwendig, darf aber die Substanz nicht verändern. Die ungeheure Beschleunigung durch ständige Live-Berichterstattung und das Internet ist riskant"…
Und so weiter.
Recht hat er ja, der Georg Mascolo… Nur haben seine Einlassungen einen Zug ins Samstäglich-Besinnungsaufsatzhafte und Selbstverständliche. Derart Wacker-Korrektes aber törnt uns ab.

"Ich will nicht mehr in diesem linken Dreckstheater mitmachen"

Inkorrekt ist derweil nicht nur das Theaterstück "Der Fluch", mit dem der kroatische Regisseur Oliver Frljić in Warschau Unruhe stiftet… Es kommt Oralsex mit dem Papst vor.
Betont inkorrekt ist auch die Überschrift "BLASphemie" in der Tageszeitung DIE WELT. Um noch dem letzten Eumel den Ausflug in die Vulgärsprache sexueller Praxis verständlich zu machen, hat die WELT "BLAS" in fette Großbuchstaben gesetzt.
Derweil erleben die Schauspieler in Warschau, wie aus Frivolität bitterer Ernst werden kann – und reagieren darauf im Stück.
"Zwischen den einzelnen Szenen gibt es Monologe, in denen sie sich selbst spielen [so der WELT-Autor Jörg Winterbauer]. Eine der Schauspielerinnen bekommt auf der Bühne scheinbar einen Wutanfall: ‚Ich will nicht mehr in diesem linken Dreckstheater mitmachen, man muss immer nur ficken und sich erniedrigen lassen!‘, schreit sie. ‚Wer garantiert jetzt für meine Sicherheit, wer hilft mir gegen die Stiernacken, die vor dem Theater stehen?!‘, brüllt sie. Einige Zuschauer lachen etwas. Aber die Szene ist nicht lustig, denn die Schauspieler bekommen tatsächlich Morddrohungen." -
Bleibt uns angesichts des erneut misslichen Weltenlaufs zu hoffen, dass die NZZ nicht krass irrt, wenn sie titelt: "Alles wird besser."
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