Aus den Feuilletons

Streit um Kant

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Statue von Immanuel Kant in Kaliningrad.
Wie umgehen mit der Statue von Immanuel Kant in Kalingrad? Die "taz" meint: stehenlassen. © imago images/imagebroker/Gabriele Thielmann
Von Arno Orzessek  · 26.06.2020
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"Das Denkmal kann, nein, muss geradezu stehenbleiben", schreibt die "taz" über die Statue Immanuel Kants in Kaliningrad. Um sie ist ein Streit entbrannt, da Kant sich auch rassistisch geäußert hat.
"Lasst das Denkmal stehen", fordert die TAGESZEITUNG. Und das dürfte manchen überraschen. Denn das Foto auf selbiger TAZ-Seite zeigt die Statue Immanuel Kants in Kaliningrad, vormals Königsberg, dem Geburts-, Schaffens- und Sterbeort des Philosophen.
Und Kant war ein übler Rassist. So hört und liest man es jedenfalls dieser Tage. Doch Micha Brumlik hält dagegen:
"Kant hatte zwar rassistische Vorurteile, glaubte aber nicht daran, dass 'Rasseeigenschaften' angeboren und unveränderlich seien. Er war zudem ein Gegner von Leibeigenschaft wie Sklaverei und schon früh einer der schärfsten Kritiker der kolonialen Expansion europäischer Staaten. Das Denkmal kann, nein, muss geradezu stehenbleiben."

Stumme Verteidiger

Verteidiger des Films "Vom Winde verweht" melden sich derweil kaum zu Wort. Denn es ist allzu klar, dass das zehnfach Oscar-prämierte Werk die Sklaverei verniedlicht, wenn nicht verherrlicht.
In der Tageszeitung DIE WELT erinnert der Germanist Paul-Michael Lützeler an einen frühen Kritiker des Streifens – Hermann Broch. Der jüdisch-österreichische Schriftsteller war vor den Nazis in die USA geflohen und hatte 1940 seine Gedanken zu "Vom Winde verweht" aufgeschrieben.
"Für Broch war das Echo auf 'Gone with the Wind' ein 'Symptom für einen Zeitgeist', in dem 'die Sehnsucht nach Sklaverei' ihren Ausdruck fand. Er war sicher, dass der Film Hitler gefallen werde. In seiner Besprechung bezieht er sich auf 'Hitlers Gehirn', in dem die Vorstellung einer 'künftigen Welt-Gesellschaftsform' existiere. Das Ziel der 'biologischen Politik' des deutschen Diktators sei die Schaffung einer 'Herrenkaste' von 'edlem Blut', die über die 'große Masse des 'unreinen Blutes' zu herrschen habe. Broch war verstört, als er sah, dass in einem amerikanischen Film die Epoche der Sklaverei nostalgisch dargestellt wurde."
Übrigens lag Broch mit seiner Vermutung richtig, wie Lützeler erklärt: Hitler war begeistert von "Vom Winde verweht" – Josef Goebbels ebenfalls. Der NS-Propaganda-Minister notierte:
"Großartig in der Farbe und ergreifend in der Wirkung. Man wird ganz sentimental dabei. Wir wollen uns ein Beispiel nehmen."

"Kanon der afroamerikanischen Literatur"

Vor dem Hintergrund der Unruhen in den USA veröffentlicht die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG einen "Kanon der afroamerikanischen Literatur", in der die Wut, die sich heute entlädt, ihre Sprache gefunden hat." Die SZ-Autorin Marie Schmidt erinnert an die Literaturwissenschaftlerin Bell Hooks.
"Besonders in den Jahrzehnten um die Jahrtausendwende, als sich progressive Weiße in der Illusion wogen, Rassismus hätte sich erledigt, erinnerte sie daran, dass das ein altes Muster der Sklavenhaltermentalität ist: Zu behaupten, man wisse, wie andere Menschen die Welt sehen. In [einem ihrer Bücher] zeigt sie, wie furchtbar sich Weiße oft über ihr Fremdbild in den Geschichten afroamerikanischer Autoren aufregen, weil sie sich da selber als die übergriffigen Terroristen, Ausbeuter, die ständige Bedrohung verstehen müssen, die sie für Schwarze über Jahrhunderte darstellten." Marie Schmidt über Bell Hooks.
Unter dem Titel "Mein Herz so weiß" fragt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Ist es rassistisch, bei der Beurteilung von Musik nach Hautfarben zu unterscheiden?" Die Antwort obliegt Edo Reents:
"Dass es, nach dem Tod von Michael Jackson und von Prince, noch oder wieder schwarze Musiker gibt, die Massenidole wurden, wird man nicht als Rückschritt verbuchen. Beyoncé, Kanye West und andere Interpreten kommen desto eher zu globalem Ruhm, je kämpferischer, 'rassenbewusster' sie sich geben. Die alte Dichotomie scheint immer noch wirksam. Aber worum geht es jenseits davon? Um Musik und Gesang als Feier menschlichen Seins, das (hoffentlich) als etwas Universelles begriffen wird."
Die WELT hat unterdessen vier Berliner Schüler interviewt. Sie kamen 2015 als Flüchtlinge, nun haben alle Abitur. "Deutschland ist kein rassistisches Land", meint Lynn Ghannam aus Kuwait. "Natürlich gibt es Rassisten hier. Aber über 80 Prozent sind das Gegenteil von rassistisch. Ich sehe das doch. Ich habe immer das Gute erlebt. Ich bin glücklich."
Ein schöneres Schlusswort finden wir nicht mehr – darum: Tschüss und bis bald!
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