Aus den Feuilletons

Sex nur "mit umfangreichem Vertrag"

Der Schatten einer Frau und eines Mannes, die sich küssen, sind an eine Wand geworfen.
Die sexuelle Revolution wieder an die Kandare nehmen? © dpa / picture alliance / Jan-Philipp Strobel
Von Burkhard Müller-Ullrich · 02.11.2014
Die "Welt" beschäftigt sich mit einer überraschenden Statistik: Studentinnen in den USA sind häufiger Opfer einer Vergewaltigung als Frauen im Bürgerkrieg im Kongo. Universitäten überraschen deshalb mit überraschenden Bestimmungen.
"Ein Fünftel aller amerikanischen Studentinnen, sagen Feministinnen, seien Opfer von Vergewaltigungen geworden. manche sprechen sogar von 25 Prozent,"
berichtet Hannes Stein in der WELT und stellt eine kleine Plausibilitätsrechnung an: Eine Vergewaltigungsquote von 25 Prozent würde nämlich bedeuten, schreibt er,
"dass die Wahrscheinlichkeit, einem Notzuchtverbrechen zum Opfer zu fallen, an höheren amerikanischen Bildungsanstalten um ein Mehrfaches größer ist als im Bürgerkrieg im Kongo."
Etwas stimmt hier also nicht, das aber mit Methode. Denn der Vergewaltigungsdiskurs hat dazu geführt, dass an vielen amerikanischen Universitäten eine Beweislastumkehr gilt, die unter dem Titel "yes means yes" folgendermaßen funktioniert: Bisher musste eine Studentin noch "Nein" sagen, wenn sie keinen Sex wollte. Nach der neuen Regel muss sie zu jedem Handgriff und jedem Kuß des Partners ausdrücklich "Ja" sagen. Oder in Steins Worten:
"Vor jedem Geschlechtsakt – eigentlich dabei – ist ein umfangreicher Vertrag mit Dutzenden Komplikationen, Klauseln und Kleingedrucktem auszuhandeln und zu paraphieren."
Dass diese Bestimmungen lustfeindlich wirken, finden manche fundamentalreligiösen Konservativen durchaus begrüßenswert. Sie wollen, dass die sexuelle Revolution der Sechzigerjahre – nachdem sie außer Rand und Band geraten sei – endlich wieder an die Kandare genommen werde.
"Dass aber ausgerechnet Feministinnen einer neuen viktorianischen Sexualmoral zum Durchbruch verhelfen,"
wie Hannes Stein formuliert, ist schon eine ironische Wendung der Geschichte.
Wie ist der echte Wulff?
Das trifft auch auf eine Toleranzpreisverleihung zu, die in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum Thema wird und deren Absurdität sogar ein bisschen auf den Artikel selbst abfärbt. Die Evangelische Akademie im bayerischen Tutzing vergab nämlich ihren Toleranzpreis für einen vor mehr als vier Jahren gesprochenen Satz, der da lautet: "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Und über Christian Wulff liest man in der SÜDDEUTSCHEN voller Erstaunen Sätze wie diesen:
"Wer ihm in den letzten zehn, zwölf Jahren häufiger begegnet ist, seit der Zeit also, als er erstmals eine Wahl gewann und Ministerpräsident wurde, erlebt jetzt vielleicht zum ersten Mal den echten Wulff."
Noch verdrehter klingt die folgende Kostprobe:
Er muss alles auf seinen Kern reduzieren, Glaubwürdigkeit. Die ist die Basis von allem für einen öffentlichen Menschen ohne Amt. Und ein solcher will Wulff, inzwischen Rechtsanwalt in Hamburg, zukünftig bleiben.
Die Pointe dieser Preisverleihung wird in der SZ leider nur gestreift. Sie besteht darin, dass die der Toleranz weitgehend unverdächtige Tierschutzfanatikerin Hilal Sezgin die Laudatio auf Wulff hielt, eine "feurige, kluge, stolze Laudatio", wie der Berichterstatter schwärmt.
Was macht der Verkehrsminister mit den Daten?
Am Schluss erfährt man noch, dass die Informatikerin und Autorin Constanze Kurz am selben Ort den noch jungen Preis für Zivilcourage erhielt, weil sie sich für den Datenschutz einsetzt. Von ihr steht in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG ein Artikel, der die Ungereimtheiten der von Bundesverkehrsminister Dobrindt forcierten Maut auflistet.
"Mit einer bundesweiten "Infrastrukturabgabe", die nicht als Vignette auf der Windschutzscheibe, sondern als elektronisches Scanning der Nummernschilder erfolgt, wird vor allem das Erfassen von Bewegungsprofilen neu diskutiert werden müssen. Auch Geschwindigkeitsprofile wären aus solchen Systemen ableitbar. Bei der vorgesehenen längerfristigen Speicherung der Scan-Daten kommen noch – nicht vernachlässigbare – Anstrengungen für eine ordentliche IT-Sicherheit obendrauf, die dafür sorgen dürften, dass die ohnehin mickrigen Mauteinnahmen weiter dezimiert werden."
Und noch einen Punkt spricht Constanze Kurz in der FAZ an: Wie gedenkt der deutsche Verkehrsminister eigentlich an die Daten von Autobahnbenutzern aus anderen Ländern zu kommen, wenn sie die Maut nicht bezahlt und nur Fotos ihrer Nummernschilder hinterlassen haben?
Lauter Fragen, die bei der FAZ unter Feuilleton fallen.