Aus den Feuilletons

Selbstversuch mit Hitlers "Mein Kampf"

Das Buch "Mein Kampf - 1. Band" von Adolf Hitler wird im Kunstmuseum in Solingen in der Ausstellung "Die verbrannten Dichter" gezeigt.
Das Buch "Mein Kampf - 1. Band" von Adolf Hitler wird im Kunstmuseum in Solingen in der Ausstellung "Die verbrannten Dichter" gezeigt. © picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Von Tobias Wenzel · 03.08.2014
Für die "FAZ" hat der Heidelberger Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel Hitlers "Mein Kampf" in das Hochglanzpapier eines Luxusuhrenmagazins eingeschlagen und als Urlaubslektüre am Strand gelesen. Sein erster Eindruck überrascht.
"Der Weg ins Licht führt nur über die totale Hingabe des Selbst an das Digitale", schreibt Thomas Hüetlin im SPIEGEL. Da könnte man denken: Was hat der sich denn gespritzt? Aber Hüetlin ist ganz bei Sinnen, versucht nur mit seinen Worten, dem Leser die schöne, neue Welt eines Romans von Dave Eggers nahezubringen. Der erscheint in einer Woche auf Deutsch unter dem Titel "Der Circle".
"Eggers liefert den Roman für den internetkritischen Diskurs, satirisch, lakonisch, bisweilen brillant", findet Hüetlin. Die Hauptfigur ist eine junge Frau, die für einen "totalitären Superkonzern" arbeitet, der "Ähnlichkeiten mit Google, Facebook und Amazon" aufweise. Die Firma ist ihre Familie.
Sie und ihre Kollegen geben ihre Privatsphäre auf, lassen sich von Kameras, die sie sich um den Hals hängen, von aller Welt über das Internet beobachten. "Geheimnisse sind Lügen, alles Private ist Diebstahl" sei die Losung des Superkonzerns.
Verblüfft stellt Thomas Hüetlin allerdings an einer Stelle von Eggers' "satirischer Dystopie" fest, dass die Fantasie des Autors ein wenig alt wirke im Vergleich zur Wirklichkeit. So habe schon der Internetkritiker Jaron Lanier die Idee vieler Mitarbeiter im Silicon Valley, mit Technik "alle Probleme der Welt" zu lösen, als "Heilslehre" bezeichnet. Und Google sei schon jetzt eine Datensammelkrake, die uns überwachen wolle.
"Entfaltung einer atemberaubenden Anmaßung"
Wem das Thema zu digital ist, für den gibt es in dieser Presseschau noch zwei handfestere Lektürevorschläge. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Millionen-Bestseller? Wie wäre es mit Hitlers "Mein Kampf"?
Die geplante kommentierte Ausgabe will Bayern nun wohl doch unterbinden. Das Buch soll verboten bleiben. Aber geht davon wirklich noch eine Gefahr aus? Das wollte der Heidelberger Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel herausfinden. Dazu machte Kiesel einen Selbstversuch. Das Ergebnis ist nun in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG nachzulesen.
"So legte ich [...] zu den Büchern, die mich in den Urlaub nach Sardinien begleiten sollten, jenes Exemplar von 'Mein Kampf', das meine Schwiegereltern zu ihrer Hochzeit am 20. März 1942 erhalten und als historisches Dokument aufbewahrt hatten [...]." Kiesel schlug das Buch "in das schwarz-goldene Hochglanzpapier eines Luxusuhrenmagazins" ein, so unwohl war ihm bei dem Gedanken, damit in der Ferienanlage oder am Strand ertappt zu werden.
Sein erster Lektüre-Eindruck: "'Mein Kampf' ist die Entfaltung einer atemberaubenden Anmaßung." Hitler sei zwar ein Hetzer, Lügner und Verdreher von Tatsachen gewesen, aber literarisch "kein Stümper", wie ihm Lion Feuchtwanger, Karl Kraus und viele andere unterstellten. Vielmehr habe Hitler "über ein breites Register an rhetorischen und stilistischen Mitteln" verfügt, die ihm dazu verhalfen, "Bewunderung" bei seinen Lesern hervorrufen: "Dieser Wirkungskraft von Hitlers Buch kann man nicht durch Verleugnung entgegentreten", so der Literaturwissenschaftler weiter, "sondern nur durch Aufklärung und Entlarvung."
Fördern und nicht unterbinden
Eine kommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" müsse deshalb gerade gefördert und nicht unterbunden werden. Zumal nach dem Ablauf des Urheberrechts für dieses Buch im Jahr 2015 seine Veröffentlichung wohl nicht mehr verhindert werden könne.
Wenn Sie nicht bis 2015 warten möchten oder Ihnen Sätze wie "Im ewigen Kampf ist die Menschheit groß geworden – im ewigen Frieden geht sie zugrunde" ohnehin nicht subtil genug sind – wie wäre es dann mit den Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover? "[...] ein farbenfroher Teil deutscher Vergangenheit ist wieder lebendig", freut sich Hans Pleschinski in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG darüber, dass diese, zuerst 1680 veröffentlichten "köstlichen Memoiren", wie er sagt, nach einem Jahrhundert wieder auf Deutsch vorliegen.
Die Kurfürstin von Hannover habe zu den gebildetsten Frauen ihrer Zeit gezählt, feine "Beobachtungen aus dem menschlichen Lebenstheater" gemacht und manch einen Heiratskandidaten abblitzen lassen: "Prinz Adolf, der Bruder des schwedischen Königs hatte eine angenehme Gestalt, aber ein überaus unvorteilhaftes Gesicht und ein Kinn, das wie ein Schuhlöffel aussah."