Aus den Feuilletons

Schrecken und Ehrfurcht

Dolly Parton
Die Country-Sängerin Dolly Parton © dpa / picture alliance / epa Peter Foley
Von Arno Orzessek · 28.06.2014
Die Ästhetik der Islamisten-Propaganda, der Untergang des weltoffenen Orients und der digitale Freiheitskampf gegen Google beschäftigen die Feuilletons in dieser Woche – sowie die Brüste einer Country-Sängerin.
Wir wollen den Ernst der Lage keineswegs verschweigen...
Dennoch richten wir unseren Blick mit der Tageszeitung DIE WELT zunächst auf die prominenten Brüste der amerikanischen Country-Sängerin Dolly Parton.
"Haben Ihre Brüste Namen?" wollte WELT-Autorin Katja Schwemmers wissen...
Und erhielt von Parton die politische Antwort:
"'Ja, ich nenne sie Shock and Awe! [Schrecken und Ehrfurcht] Denn als Präsident Bush im Amt war und er im Irak einmarschierte, sagte er ständig, er sei in 'shock and awe'. Also gab ich meinen Brüsten diese Namen. Ich habe dabei allerdings nicht bedacht, dass ich nun ständig an Bush erinnert werde."
So Dolly Parton in der WELT.
Kaum nötig zu sagen, dass alle weiteren Erwähnungen des Irak samt Umgebung in den Feuilletons der vergangenen Woche mit der Terror-Organisation Islamischer Staat im Irak und in Syrien, kurz: Isis, zu tun hatten.
Unter der Überschrift 'Fürchtet euch" warnte Tomas Avenarius in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vor dem Medien-Knowhow von Isis:
"Isis ist anders. Neu, aufregend sind Anmutung und Ästhetik der Isis-Propaganda. Teile von 'Klirren der Schwerter' [einem Film, der zum Heiligen Krieg aufhetzt] sind aufgebaut wie ein Computerspiel. Andere sprechen den Kinoreflex des inszenierten Pathos an, wieder andere setzen auf brutale Action. Ein deutscher Konvertit, der sich seit Jahren mit der Dschihad-Propaganda beschäftigt, sagt: 'Hier wird die klassische Jugendkultur bedient, mit Elementen von Kino, Comic, Ballerspielen. Das funktioniert.'"
Finstere Nachrichten übermittelte auch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, in der Mona Sarkis über die Verhältnisse in der syrischen Stadt Raqqa berichtete, aus der längst viele Menschen geflüchtet sind – aber noch längst nicht alle:
"Für die Verbliebenen verschönert der Isis einerseits die Straßen. Andererseits kreuzigt er seine Widersacher auf Marktplätzen. [...] Einerseits legt er neue Stromleitungen. Andererseits foltert er kritisch denkende Friedensaktivisten mit Elektroschocks. Einerseits verwöhnt er Kinderscharen an sogenannten 'Spasstagen' mit Eiscrème. Andererseits organisiert er öffentliche Auspeitschungen von Ladenbesitzern, die ihre Geschäfte während der Gebetszeiten geöffnet lassen."
In der Wochenzeitung DIE ZEIT nahm der Schriftsteller Navid Kermani unter der Überschrift "Es gibt diese Welt nicht mehr" Abschied von jenem mehr oder weniger weltoffenen Orient, den er als rucksackreisender Student geliebt hatte.
Kermani verwies allerdings auf historische Wechselwirkungen zwischen Ost und West:
"Man weiß nicht, was aus dem Dschihadismus geworden wäre, wenn die USA nicht in den Irakkrieg gezogen wären. Aber was man weiß: Der Krieg hat erschreckend genau die Vorhersagen derer bestätigt, die ihn abgelehnt haben. Im Zentrum der arabischen Welt, nahe an Europa und noch näher an Israel, hat der Dschihadismus, der mit dem Sturz der Taliban seine Lager und Finanzierungsquellen in Afghanistan schon verloren hatte, ein riesiges, strategisch ungleich günstiger gelegenes, finanziell lukrativeres Aufmarschgebiet geschenkt bekommen – und mit Abu Ghraib und den amerikanischen Ölgeschäften neue Gründe, den Westen zu hassen, gratis dazu."
Und ZEIT-Autor Kermani − beileibe kein Hetzer, sondern ein hochgebildeter, reflexionsstarker Schriftsteller, der zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes eine umjubelte Rede im Bundestag gehalten hat – fügte hinzu:
"An dem Chaos und den Millionen Opfern gemessen, die sie gewollt oder ungewollt zu verantworten haben, gäbe es Gerechtigkeit in der Weltpolitik nur, wenn George W. Bush und Dick Cheney, Paul Wolfowitz und Tony Blair den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen würden. In Guantanamo Bay sollen endlich ein paar Plätze frei geworden sein." –
Wir verbleiben in der globalen Kampfzone, wenden uns aber Russland zu.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG warnte die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch vor der russischen Abkehr von der westlichen Welt:
"Heute gibt Russland dem Westen die Schuld an allem: am Kollaps der Sowjetunion, an der Katastrophe von Tschernobyl, am Untergang des U-Boots 'Kursk'. [...] Russland sagt[...] der ganzen Welt den Kampf an und wird zum Anziehungspunkt sämtlicher antiwestlicher Kräfte. Russlands Argumente sind Atomwaffen und Energieressourcen. Es plustert sich auf angesichts des Erfolgs, es erinnert heute fatal an die deutsche Gesellschaft der dreißiger Jahre."
Der aufgeregte Artikel Swetlana Alexijewitschs endete in einer bestürzenden Szene:
"Während ich diesen Artikel schrieb, erhielt ich einen Anruf. Jemand sagte in den Hörer: 'Ich habe deine Bücher gelesen, deine Artikel. Ich habe gelesen, wie du Russland mit Schmutz überziehst. Du bist eine Verräterin. Wir werden uns auch alle vormerken. Bald wird unsere Zeit kommen.' Ich legte den Hörer auf und trat ans Fenster. Ich hatte so ein Gefühl, als hätte es begonnen."
Unterdessen ficht der Westen interne Kämpfe aus – und im Kampf gegen Google eilen immer mehr Deutsche an die Front, unter ihnen Gabor Steingart, Herausgeber des Handelsblatts. Steingart schrieb in der FAZ über "Unsere Waffen im digitalen Freiheitskampf":
"In einer großen Koalition von Autoren und Lesern, von Verlagen und ihren Kunden läge die Stärke der Google-kritischen Bewegung. Die Politik hat [...] ihren Dämmerschlaf beendet. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel führt gegen die ‚neue Monopolmacht' von Google die vielleicht schärfste Waffe ins Feld: die Ordnungspolitik. [...] Die Zeit zum Losschlagen ist gekommen."
... ermunterte Gabor Steingart zum Aufstand gegen Google.
Wir begannen mit Dolly Parton, wir enden – nach viel Kampf und Kampfgeschrei – mit Jean Seberg.
Die NZZ stellte unter dem Titel "Das leuchtende Gesicht und seine dunklen Seiten" einen Bildband über die amerikanische Schauspielerin vor – und zitierte aus einem Brief Sebergs Folgendes:
"In Paris ist es grau und kalt, aber all die Menschen um mich herum haben fröhliche Gesichter. Wie Shakespeare sagt: Und wenn ich jetzt ob mancher sterblichen Dinge lache, ist's, weil ich nicht weinen möchte."
Liebe Hörer, machen Sie's gut: Halten Sie sich an Shakespeare!