Aus den Feuilletons

Schöne neue Impfwelt

04:01 Minuten
Probe-Patientinnen warten im Beobachtungsbereich des Impfzentrum Oberbergischer Kreis.
Wem das Reibungslose verdächtig vorkommt, für den sind Impfzentren womöglich wie Sekten. © picture alliance/dpa/Federico Gambarini
Von Gregor Sander |
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Modern aussehende Menschen in blauen Leibchen begleiten jeden einzelnen Schritt. Der Dramatiker Nis-Momme Stockmann vergleicht sein Impferlebnis in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Besuch in einem Apple Store.
"Woher nehmen Schriftsteller eigentlich ihre Einfälle?", fragt Daniel Ammann in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG und konkretisiert: "Die Leser möchten wissen, wo sie die Stoffe für ihre Geschichten auftreiben, als könnten sie durch einen Blick hinter die Schreibkulissen dem Geheimnis von Originalität und Erfolg auf die Schliche kommen."
Allerdings weigerten sich viele Autoren, diese Frage zu beantworten. Stellvertretend werden hier Juli Zeh, David Foster Wallace und Daniel Kehlmann genannt und so stellt der NZZ-Autor fest: "Die Verklärung des kreativen Prozesses hängt mit dem Umstand zusammen, dass uns die beschwerlichen Lehrjahre der Meisterinnen und Meister ebenso verborgen bleiben wie die Entstehungsgeschichte ihrer Werke. Wie Nietzsche schon feststellte, ‚kann Niemand beim Werke des Künstlers zusehen, wie es geworden ist; das ist sein Vortheil, denn überall, wo man das Werden sehen kann wird man etwas abgekühlt.‘"

Phantastisches Impferlebnis

Nietzsche möchten wir an dieser Stelle auf keinen Fall widersprechen und manchmal ist es ja auch der Zufall, der einem ein Thema vor die Füße legt, wie der Dramatiker Nis-Momme Stockmann in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG berichtet:
"Ich bin 39 Jahre alt, gehöre keiner Risikogruppe an und arbeite als Schriftsteller grundsätzlich schon immer im Homeoffice. Nie im Traum hätte ich daran gedacht, Teil der ersten Impfwelle zu sein. Umso überraschter war ich, als ich erfuhr, dass ich durch meine Tätigkeit als ehrenamtlicher Sterbebegleiter in einem Altenheim einen Anspruch auf eine Covid-19-Impfung habe."
Trotz eines schlechten Gewissens der Gesellschaft allgemein und seinem ungeimpften lungenkranken Vater im Besonderen gegenüber, macht sich Stockmann auf den Weg ins riesige Impfzentrum auf dem Berliner Messegelände und landet in einer phantastisch anmutenden Welt:
"Von Cubicle zu Cubicle begleiten uns freundliche Menschen in blauen Leibchen. Insgesamt schleusen mich über zehn sehr modern aussehende Männer und Frauen durch die Halle. Jeder noch so kleine Weg hat einen zugewiesenen Begleiter. Es ist ein bisschen, wie im Apple Store zu sein (oder bei einer großen Sekte – was wahrscheinlich aufs selbe hinausläuft). Aber da spricht vielleicht nur der Universalverdacht gegen alles Schöne und Reibungslose aus mir."

Der schlechte Ruf von Literaturrezensionen

Ob aus diesem Impferlebnis mehr wird als ein Erfahrungsbericht in der FAZ bleibt abzuwarten. Sollte gar ein Buch entstehen, muss das natürlich später ordnungsgemäß rezensiert werden. Allerdings fragt sich Dirk Knipphals in der TAZ:
"Warum wird über Literaturrezensionen immer nur dann grundsätzlich geredet, wenn sie mal wieder irgendwo abgeschafft werden?" Und spielt damit auf die aktuelle Literaturkritikkürzung beim WDR an.
"Wie kommt es eigentlich, dass Rezensionen einen so schlechten Ruf haben, dass sie bei Blatt oder Senderreformen immer als Erstes auf der Abschussliste stehen?", poltert Knipphals weiter und zeigt sich Neuem gegenüber durchaus aufgeschlossen:
"Gegen ein Mix an journalistischen Formen ist ja gar nichts zu sagen. Porträts, Gespräche und Interviews haben ihre spezifischen Stärken. Doch die haben Rezensionen eben auch. Und auch sie sollten fürs Publikum, wie heißt das so schön, 'snackable' sein."

Erzählt wie ein TKKG-Hörspiel

Als äußerst snackable zeigt sich die Besprechung des Romandebuts von Hengameh Yaghoobifarah im Wochenmagazin DER SPIEGEL. Xaver von Cranach wärmt hier noch einmal die ganze Geschichte von der als Müll beschimpften Polizei in Yaghoobifarahs TAZ-Kolumne auf, gelangt über die Fastanzeige der Autorin durch Horst Seehofer zu deren Foto im 4000 Euro teuren Ledermantel im Schaufenster des KaDeWe. Und die Kritik des Romans? Die macht auf zwei Magazin-Seiten genau zwei Sätze aus.
"Er handelt von drei Generationen einer Familie mit iranischem Migrationshintergrund. Die Geschichte könnte ‚eine Geschichte zum Schreien und Weinen sein‘, wie es der Klappentext verspricht, wäre sie nicht so holzschnittartig erzählt wie ein TKKG Hörspiel."
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