Aus den Feuilletons

Russland fühlt sich "eingekreist"

Auf dem Lenin-Platz in Simferopol feiern die Menschen das Wahlergebnis und schwenken russische Flaggen
In Simferopol feiern viele Menschen das Ergebnis der Abstimmung des Krim-Referendums © afp / Dimitar Dilkoff
18.03.2014
In der Kulturpresseschau geht es unter anderem um eine Ausstellung der "beiden Erzmanieristen" Rosso Fiorentino und Pontormo in Florenz, um den Krim-Konflikt und um die Zukunft der Piratenpartei.
"Manierismus. Schon dem Begriff haftet ein undefinierbarer, vager Geschmack an, als wäre die ganze Kunstrichtung ein Parfüm, dessen Aroma manchem Menschen ordinär und krank, manchem jedoch verführerisch und raffiniert vorkommt." Dirk Schümer hat für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG den Florentiner Palazzo Pitti besucht, wo zurzeit das Werk der "beiden Erzmanieristen" Rosso Fiorentino und Pontormo ausgestellt wird. Und was der FAZ-Korrespondent dort gesehen hat, scheint in ihm neben allerlei Assoziationen zur Gegenwart auch den Willen geweckt zu haben, den malenden Manieristen mit sprachlichen Mitteln nachzueifern: Rossos "Jesuskind aus den Uffizien blickt degeneriert drein wie eine Saugglockengeburt, sein Johannesknabe aus dem Frankfurter Städel schnauft nicht nur weggetreten, sondern scheint, ein Vögelchen auf dem Kindergemächt, fleißig an seinem Unterleib zu manipulieren". Zwischen Abscheu und Faszination schwankt der FAZ-Autor hin und her und fragt sich vor dem "Wunderwerk" der „Visitazione“ Pontormos, ob diese "Malerei die Krise von Religion und Gesellschaft um 1520 offensiv bezeugen will, dass leere Mitte, schrille Farbtöne und ängstlicher Blick uns von Luther und Sacco di Roma, von Pest, Buchdruck und Amazonas-Entdeckern erzählen wollen – und die Manieristen daher so verdammt gut in unsere eigene Spät- und Umbruchsphase passen".
Apropos Spät- und Umbruchsphasen, auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG lässt sich durch ein Malerpaar in eine ganz ähnlich gemischte Gefühlslage zwischen Verstörung und Begeisterung versetzen, durch zwei Symbolisten des späten 19. Jahrhunderts diesmal, beide ausgestellt in Basel. "Ausgerechnet James Ensor und Odilon Redon, schreibt Catrin Lorch, deren Werk alle Festigkeit abzugehen schien, deren Gemälde zart, verweht, irrsinnig oder kitschig schienen, könnten jetzt wieder zum Vorbild werden."
Manierismus, Fin de Sciècle, Überfeinerung und Dekadenz - wir Thomas-Mann-Leser wissen, wie das endet, im Gedenkjahr 2014 allzumal. Und tatsächlich erklärt der Politologe Herfried Münkler im Interview mit der WELT, die Ukraine sei "in ethno-politischer Hinsicht dem Balkan nicht unähnlich". Auch habe "Russland das Gefühl (…), eingekreist zu sein, wie die Deutschen vor 1914". In Brüssel und Berlin dagegen hätten "Akteure (…) gespielt, die den Begriff des Imperiums nicht hinreichend im Kopf hatten". In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG berichtet Joseph Croitoru, wie sich in Polen der Kopf darüber zerbrochen wird, ob die Tschechoslowakei 1938 oder 1968 der passende Vergleichsmaßstab für Putin ist – Hitler im einen, Chruschtschow im anderen Fall. Ganz woanders sucht Andreas Ernst in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG nach historischem Vergleichsmaterial – in den Ländern Ex-Jugoslawiens nämlich. Der Artikel endet mit dem maniriertesten aller Interpunktionszeichen, nämlich dem Fragezeichen, und das gleich dreifach: "Schüren Integrationsangebote an ein geteiltes Land nicht zwangsläufig die inneren Spannungen? Ist es vielleicht bezeichnend, dass die Europäische Union erst nach dem Zerfall Jugoslawiens ihre Rolle als Friedensmacht spielen konnte? Kam ihr Angebot an die Ukraine im falschen Moment?"
Eine Spätphase ganz anderer Art thematisiert zu guter Letzt die TAZ, nämlich die der Piratenpartei, der nach vielerlei Qual zuletzt der halbe Parteivorstand abhanden gekommen ist. Martin Kaul weist ihr in einer "Gebrauchsanweisung in neun Punkten" den hürdenreichen Weg zur "Selbstauflösung". Die deprimierende Erkenntnis: Dafür braucht es so viele Parteitags- und Mitgliederbeschlüsse, dass es "selbst beim Turbomodus (…) die Piraten wohl noch mindestens drei Monate geben" wird. Sogar an der Europawahl werden sie noch teilnehmen müssen und mangels Dreiprozenthürde "mit ein bisschen mehr Pech tatsächlich noch ein Mandat bekommen". Also "muss man einfach immer weitermachen?", fragt TAZ-Autor Kaul zuletzt bang. "Wäre eine Option. Aber das löst ja nicht das Problem, dass die Partei sich eigentlich abschaffen will."