Aus den Feuilletons

Revolutionär in Wuppertal

04:08 Minuten
Eine Statue von Friedrich Engels in der Nähe seine Geburtshauses in Wuppertal.
Friedrich Engels sei ein Genie der Nebentätigkeit gewesen, meint Thomas Thiel in der "FAZ" - und lobt auch dessen journalistisches Talent. © dpa / picture alliance / Oliver Berg
Von Ulrike Timm · 17.06.2020
Audio herunterladen
Friedrich Engels kommt aus Barmen, heute Teil von Wuppertal, und wäre jetzt 200 Jahre alt geworden. Im Vergleich zu Karl Marx seien die Feierlichkeiten überschaubar, schreibt die "FAZ" - dabei habe Engels eindeutig die leichtere Feder.
"Zwei Mädchen finden zwei Äpfel, einen großen und einen kleinen.
Mädchen A zu Mädchen B: 'Nimm dir einen'. Mädchen B nimmt den größeren.
Mädchen A ist verstimmt: 'Das war unfair'.
Mädchen B:'Weshalb, welchen hättest du denn genommen?'
Mädchen A:'Na, den kleineren.'
Mädchen B: 'Dann sei doch zufrieden, genau den hast Du ja.'
Der indische Ökonom und Sozialphilosoph Amartya Sen ruft diese Geschichte in seinem Essay 'Rationale Dummköpfe' auf, in dem er 1977 die gängigen Verhaltensannahmen der Wirtschaftswissenschaften kritisierte. Die Verstimmung des Mädchens, so sein Argument, zeige an, dass dessen hypothetische Wahl nicht auf einem Hang zu kleinen Äpfeln oder auf Sympathie mit dem Gegenüber beruhte, sondern einem Gefühl dafür, was sich gehört."

Friedenspreis für Amartya Sen

Mit dieser anschaulichen Geschichte beginnt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ihre Würdigung des Denkens von Amartya Sen, neuer Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. Jürgen Kaube freut diese Wahl. Amartya Sens "Beiträge zur Theorie und Empirie der Armut, der ökonomischen Entwicklung und einem an konkreten Fragen orientierten Konzept der Gerechtigkeit" ließen sich gut mit dem Begriff des Friedens verbinden.
Der indische Wissenschaftler Sen "arbeitet an der Entwicklung einer moralisch fundierten Wirtschaftswissenschaft", schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, und Thomas Steinfeld betont, wie eng das Denken von Amartya Sen dabei an Empirie, Statistik und Exaktheit gekoppelt sei. Deshalb beschränke sich seine Wirkung nicht auf moralphilosophische Appelle, etwa wenn er argumentiert, dass die Menschen in der Dritten Welt nicht einfach an Hunger sterben, sondern daran, "dass sie die Nahrungsmittel nicht bezahlen könnten."
Und die FAZ betont, dass das Werk des hoch renommierten Wissenschaftlers mehr dazu einlade, sich konkret mit dem Begriff des Friedens zu verknüpfen, als das bei vielen Literaten, Künstlern oder Kulturhistorikern der Fall sei – weil Amartya Sen eben diese sehr konkrete, praktische Basis habe.

Faszination Papier

"Hypnotisch" findet der Schauspieler, Fotograf und Schriftsteller Hans Zischler eine Ausstellung des Dresdner Kupferstichkabinetts, das seinen 300. Geburtstag mit einer faszinierenden Schau seiner Meisterwerke von Rembrandt bis zur DDR-Moderne begeht.
"Im Schnelldurchlauf, der Besucher sei gewarnt, wird man nicht viel von dieser Ausstellung mitbekommen", warnt Zischler in der ZEIT, und bleibt denn auch in seiner Rezension ein bisschen sehr ausführlich vor seinen Lieblingsbildern stehen – trotzdem bekommt man spontan Lust, nach Dresden zu fahren und sich die Schätze anzugucken.

Runder Geburtstag für Friedrich Engels

Thomas Thiel hat in der FAZ an der Wuppertaler Ausstellung zum 200. Geburtstag Friedrich Engels zwar durchaus auch etwas auszusetzen, freut sich aber, dass es sie überhaupt gibt. Die Festivitäten zum Engels-Jubiläum seien schwer überschaubar, gemessen am Karl-Marx-Rummel vor zwei Jahren.
Dabei habe Engels die Aufmerksamkeit ebenso verdient, meint Thiel, und schreibt so aufschlussreich wie lesenswert in der FAZ über die Fähigkeiten und Widersprüche des so oft im Schatten stehenden Theoretikers, Kostprobe:
"Marx bohrte vielleicht die dickeren Bretter, die leichtere Feder hatte Engels. Er war ein Genie der Nebentätigkeit. Parallel zur Kaufmannslehre in Bremen reüssiert er als Journalist auf gehobenem Niveau." In seiner Heimatstadt Wuppertal widmet man sich Friedrich Engels in der Kunsthalle Barmen noch bis Ende September.

Motivation für die Corona-App?

Noch kurz ein Blick in die TAZ und zur Corona-App: Deren Erfolg entscheide sich weniger an ihrer Bedienbarkeit oder ihrem Akkuverbrauch als daran, was nach einer tatsächlichen Quarantänemeldung von Amts wegen passiere, meint Svenja Bergt. Und ist wenig optimistisch.
"Spätestens wer zum dritten Mal in der Warteschleife landet, wird darüber nachdenken, ob der Löschen-Button nicht doch eine sinnvolle Option wäre."
Mehr zum Thema