Aus den Feuilletons

Regionalmächte und Petz-Apps

Bewaffnete unter der russischen Fahnen auf einem Schornstein in der Nähe des Marine-Hauptquartiers in Sewastopol
© dpa / picture alliance / Anton Pedko
Von Hans von Trotha · 07.04.2014
Der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew rettet in der FAZ das russische Selbstbild, während "Welt" und "Taz" in der App "Wegeheld" die Sehnsucht der Deutschen erkennen, zum verlängerten Arm der Polizei zu werden.
Es gibt Tage, da scheinen die großen gesellschaftlichen Fragen die Kunst fast aus den Feuilletons zu verdrängen. In der TAZ spricht Susanne Kaiser mit Amana Fontanella-Khan über Gewalt gegen Frauen in Indien. Die Autorin fordert:
"Raus aus der Opferrolle hin zum Triumph über die Peiniger!"
In der WELT fragt Jonathan Fischer die Restauratorin Eva Borozowsky, wie man Hunderttausende von Manuskripten aufarbeitet, die in Timbuktu von Islamisten geraubt wurden. "Wir reden von einem unfassbaren Schatz", sagt Borozowsky. Nur wenig davon wird zu retten sein.
Russland – Mehr als eine Regionalmacht
In der FAZ rettet Viktor Jerofejew das russische Selbstbild vor Obamas Bemerkung, Russland sei nur eine Regionalmacht: "Kann eine Regionalmacht der ganzen Welt ihren Willen aufzwingen, wie Russland es auf der Krim getan hat?", fragt er und erklärt:
"Sie waren ohnehin überzeugt, dass der Westen ihnen die Annexion der Krim letztlich verzeiht. Russland agiert aus einer Position der Stärke und nähert sich damit dem verlorenen Status einer Großmacht an."
In derselben Zeitung konstatiert der Rechtsprofessor Reinhard Merkel, dass es sich gar nicht um eine Annexion gehandelt habe, sondern vielmehr um eine Sezession. Er meint:
"Russland hat das Völkerrecht gebrochen. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen. Wer am lautesten nach Sanktionen schreit, lenkt nur ab von der eigenen Blamage."
Bei der BERLINER ZEITUNG ist Söhne-Tag. Unter dem Titel "Der verlorene Sohn kehrt zurück" erklärt uns das Blatt:
"Wie der Medienmogul Rupert Murdoch seine Kinder in Spitzenpositionen des eigenen Unternehmens hievt".
Jakob Hein gratuliert Christoph Hein
Und der Aufmacher ist "Sehr geehrter Christoph Hein, lieber Vater!" überschrieben, ein "Brief zum 70. Geburtstag von Jakob Hein". Der hebt an:
"Vor einiger Zeit trafst Du Deinen alten Freund Lothar Trolle. Dieser hatte gehört, dass auch ich, Dein Sohn Jakob, schreiben würde. 'Ist doch gut', soll Trolle gesagt haben. 'Dann kannst Du Dich jetzt zur Ruhe setzen und Dein Sohn übernimmt den Laden.' Nach reiflicher Überlegung bedauere ich nunmehr, Dir mitteilen zu müssen, dass ich dieses Angebot ablehnen muss."
Verschiedene Gründe werden ins Feld geführt, darunter:
"Ich habe nicht einmal die Scheidung meiner Eltern als Minimal-Voraussetzung für eine einträgliche Schriftstellerlaufbahn vorzuweisen."
Ein Makel, den der verstorbene Schauspieler Mickey Rooney seinen elf Kindern erspart hat. Verena Lueken fasst dessen Leben in der FAZ bündig zusammen:
"Fast dreihundert Filme, einige Vermögen, acht Frauen".
Die Blätter mögen solche Typen, das merkt man an den Überschriften: Die SÜDDEUTSCHE hat: "Tanzen, hüpfen, purzeln", die BERLINER ZEITUNG, passend zum Söhne-Thema: "Abschied von einem Lausejungen" und die WELT:
"Der Straßenköter, der sich durch Hollywood biss."
Anonyme Gesellschaften
In der SÜDDEUTSCHENspürt Andreas Zielcke "Anonymen Gesellschaften", vulgo: "Briefkastenfirmen" nach. Da geht es um illegale Billionen und eine einzige Spielregel: Anonymität. Zielcke dazu:
"Anonymität von Geschäften im großen Stil ist, spätestens in der Snowden-Ära, ein seltsamer Tatbestand. Hören wir nicht täglich, dass die ... Geheimdienste alle elektronische Kommunikation überwachen?"
Der Wissenschaftshistoriker Peter Galison warnt in der FAZ vor den Folgen dieser Überwachung, von der nur die Briefkastenfirmen ausgenommen zu sein scheinen:
"Vor mehr als hundert Jahren hat Freud nachgewiesen, dass der Mensch sich selbst zensiert. Im Zeitalter digitaler Massenüberwachung droht uns Selbstzensur in ganz anderem Ausmaß: Wir werden immer vorsichtiger, gehemmter – unser Verhalten ändert sich grundlegend."
Petzen mit dem Smartphone
Dabei hilft jetzt auch eine neue App mit dem Namen "Wegeheld". Damit kann man Falschparker melden. Ulf Poschart beklagt in der WELTeine "neue wutbürgerliche Servilität der Deutschen, gerne zum verlängernden Arm des Staatsapparates und seiner Polizeibehörden werden zu wollen". In der TAZ schreibt Lukas Meyer-Blankenburg über die "Petz-App":
"Der Krieg gegen den alltäglichen Terror beginnt so schon am eigenen Smartphone ... Da hebe einer noch den Finger und klage über willkürliche Geheimdienste wie die NSA. Wir sind uns selbst die liebsten Spitzel."
Fazit: Wir brauchen Rettung vor der Überwachung durch uns selbst, durch die "Wegehelden" und durch die Geheimdienste. Auch dafür wird es sicher bald eine Lösung geben. Und dann auch eine App.