Aus den Feuilletons

Rache mit Hund

06:22 Minuten
Angela Merkel, Wladimir Putin und ein Labrador.
Spätestens nach dieser Aktion im Jahr 2007 konnten sie keine Freunde mehr werden: Angela Merkel, die Angst vor Hunden hat, und Wladimir Putin. © Epa/Sergei Chirikov/dpa
Von Arno Orzessek · 07.12.2019
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Anlässlich einer Ausstellung über des Menschen besten Freund, den Hund, ruft die „FAZ“ ein unschönes Zusammentreffen von Angela Merkel und Wladimir Putin aus dem Jahr 2007 in Erinnerung und lobt den Präsidenten für seine meisterhafte Revanche.
"Vier Beine für ein Halleluja", titelte die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Erkennbar beeinflusst von der Westernparodie "Vier Fäuste für ein Halleluja" mit Bud Spencer und Terence Hill. Eddo Reents besprach die Ausstellung "Treue Freunde – Hunde und Menschen" im Bayerischen Nationalmuseum und klärte dabei auch die eminente Frage: "Warum ließ Präsident Putin seinen Hund am Ende doch nicht auf die Kanzlerin los?"
Zur Erinnerung: 2007 hatte der russische Präsident seinen schwarzen Labrador Koni an der indignierten Angela Merkel herumschnüffeln lassen. Ein Vorkommnis, das gerade in Deutschland die Gemüter erregte, denn hier war bekannt: Die Kanzlerin hat Angst vor Hunden.
"Putin nahm den Hund zu dem Termin mit", so Eddo Reents, "weil er sich dafür rächen wollte, dass Merkel ihm einst das angebotene 'Du' mit dem Hinweis verweigert hatte, sie stamme aus einem Kulturkreis, in dem dieser Schritt von der Frau auszugehen habe. Sollte diese gouvernantenhafte Abfertigung stimmen – Putin bestritt später, von Merkels Hundeangst gewusst zu haben –, dann wäre die Revanche unvergleichlich eleganter ausgefallen, als es ein herkömmliches 'Fass!' hätte können", lobte Eddo Reents Labrador-Herrchen Wladimir Putin in der FAZ.

Fetisch SUV

Ähnlich gut gelaunt klang Sarah Pines in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG – und zwar in dem Artikel "In meinem SUV bin ich ganz ich":
"Im SUV war ich nur Körper. Träger, sitzender Körper, und es war wunderbar. Von der klobigen Silhouette des Autos hob meine Silhouette sich zart ab. Der SUV machte mich schlank. Der SUV ist ein passiv erlebter Sicherheitsraum, umgeben von Stahl und Gummilitze ist er mein Exoskelett, mein 'safe space' – eine Illusion, Gefühl und nicht Fakt, ein geistiger Zustand. Hier drinnen bin ich einsam, wild und frei wie der Büffel in der Prärie." Sarah Pines in der NZZ.
Tja, ist das heutzutage noch akzeptabel angesichts des Klima-Problems, so einen Artikel zu schreiben, der zwar selbst kein CO2 ausstößt, aber emissionsreiche SUVs verherrlicht? Die TAGESZEITUNG würde abwinken. Zwar titelte sie "Nur keine Auto-Wut", aber das war sarkastisch gemeint. Malte Kreutzfeld unterstellte, unsere Politiker würden sich nicht trauen, mit der Wahrheit herauszurücken: Dass es nämlich "ohne drastische Einschnitte in den Autoverkehr schlicht nicht funktionieren wird".
Es sei nötig, so Kreutzfeld, "dass die Politik endlich zur Kenntnis nimmt, dass eine breite Mehrheit die Klimakrise mittlerweile als wichtigstes politisches Problem sieht – und die radikalen 'Freie Fahrt für freie Bürger'-Autofahrer eine Minderheit sind." Ob das so stimmt? Und ob sich die Minderheit deshalb schämen sollte?
Zur Konjunktur der Scham äußerte sich in der Tageszeitung DIE WELT Frederic Schwilden skeptisch: "Die Menschen sollen Flugscham, SUV-Scham oder Plastiktütenscham empfinden. Aber Scham ist das Gegenteil von emanzipiertem Leben. Scham ist der verlängerte Arm falscher Moral. Scham hat schon immer unglückliche Kinder zu unfreien Erwachsenen gemacht."

Und noch einmal Peter Handke

Kein Anzeichen von Scham hat bislang Peter Handke gezeigt. Der kritisierte Literaturnobelpreisträger, der nicht von seinen pro-serbischen Texten früherer Jahre abrückt und den Kriegsverbrecher Milošević weiter als Verteidiger des zerfallenden jugoslawischen Vielvölker-Staats betrachtet. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erklärte die Historikern Marie-Janine Calic, die in München Ost- und Südosteuropäische Geschichte lehrt:
"Handke projiziert seine Sympathie für Jugoslawien auf Serbien und die serbische Führung. Er ist da einem Irrtum aufgesessen. Milošević wollte Jugoslawien zwar erhalten, aber nur unter seinen Bedingungen. Er wollte einen Staat, in dem Serbien allen anderen die Bedingungen diktiert."
Wie es im Vorfeld der Verleihung des Literaturnobelpreises in Stockholm zuging, berichtete die TAZ:
"Ob er seine Meinung darüber, was in den Kriegen in Jugoslawien geschehen sei, geändert habe? Antwort Handke: 'Ich habe nie eine Meinung gehabt. Ich hasse Meinungen. Ich mache Literatur, keine Meinungen.' Endgültig irritierte Handke dann die Frage, warum er das Urteil des Kriegsverbrechertribunals zu Srebrenica als Genozid nicht akzeptieren wolle. Er habe in den vergangenen Wochen viele Briefe bekommen, darunter einen anonymen mit einem Toilettenpapier mit Kotspuren. Den Journalisten, die ihm so dumme und unwissende Fragen stellen, wolle er nur sagen, dass er solch anonymes Toilettenpapier ihren Fragen vorziehe: 'Leser sind meine Leute, nicht ihr.'" Naheliegendes Resümee der TAZ: "Peter Hanke mag Klopapier lieber als Journalisten."

Kollaps der Kulturtechniken Lesen und Schreiben?

Fragt sich indessen, wie lange überhaupt noch Literatur gelesen wird. Angesichts der zweiten Pisa-Studio, die drastische Lücken in der Lese-Kompetenz hiesiger Schüler aufgedeckt hat, titelte die WELT: "Im Lesezimmer brennt kein Licht mehr."
"Katastrophismus ist selbstverständlich verpönt", betonte Christian Füller. "Aber Schulterzucken ist gewiss auch keine angemessene Reaktion auf ein derartiges Beben wie den Untergang der Gutenberg-Galaxis. Der Kollaps der Kulturtechniken Lesen und Schreiben schlägt eine tiefe Schneise in das, was eine moderne Gesellschaft ausmacht: sich verständigen, lernen, sich auf Berufe vorbereiten und sie ausüben, nicht zuletzt intellektuell und politisch an der Gesellschaft teilhaben."

Der empathischste Dirigent der Welt ist tot

Größte Sympathie-Bekundungen wurden dem verstorben Dirigenten Mariss Jansons zuteil: "Er war ein Überwältigungskünstler, der in die Welt unerschöpflicher Klangwunder eintauchen ließ", verbeugte sich die FAZ. Und die SZ mobilisierte gleich mal drei Superlative: "Der aufrichtigste, integerste, empathischste Dirigent der Welt ist tot."
Aber enden wir nicht mit dem Tod: Herzliche Glückwünsche zum 70. Geburtstag bekam der Schauspieler Jeff Bridges, berühmt als der "Dude". Die NZZ hob hervor, Bridges habe "das scheinbare Nichtstun zur Kunstform erhoben." Unser Tipp für den Sonntag: Versuchen Sie das doch auch mal!
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