Aus den Feuilletons

Problemloses als Problem

Der Schriftsteller Jürgen Becker posiert am 30. Mai 2014 in seinem Garten in Odenthal (Nordrhein-Westfalen).
Der Schriftsteller Jürgen Becker posiert am 30. Mai 2014 in seinem Garten in Odenthal (Nordrhein-Westfalen). © picture alliance / dpa / Marius Becker
Von Adelheid Wedel · 30.05.2014
Über die Wahl des Büchner-Preisträgers Jürgen Becker scheint das Feuilleton nicht entzückt zu sein. In der Tageszeitung "Die Welt" sucht derweil der tschechische Philosoph Tomas Halik nach einer Vision für das Christentum.
"Die Behauptung, Europa sei ein christlicher Kontinent, empört viele Menschen. Dabei könnte uns Religion helfen, die Nöte der Globalisierung zu lindern", sagt der tschechische Philosoph Tomas Halik in seiner Dankesrede auf die Auszeichnung mit dem Templeton-Preis. Die Tageszeitung DIE WELT druckt Auszüge daraus.
Halik untersucht: "Wo steht unser westliches Christentum heute? Was ist seine Vision für die Zukunft?" Und er fragt: "Welche Form des Christentums könnte dazu beitragen, dass unsere Welt zu einem besseren Ort für das Leben aller wird? Wie kann die Macht des Glaubens dazu beitragen, eine Kultur des gegenseitigen Respekts zu erschaffen, eine Zivilisation, in der Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrgenommen werden?"
Halik ist davon überzeugt, "wenn das gemeinsame europäische Heim ein wirkliches Zuhause werden soll, kann es nicht allein auf den Säulen von Verwaltung und Handel stehen. Bei der Erschaffung einer spirituellen und moralischen Biosphäre der Gesellschaft fällt der Kultur eine entscheidende Rolle zu." Aber, so warnt der Theologe, "was wird einer Gesellschaft widerfahren, deren Kultur ihre spirituelle Dimension verloren hat und die von der kommerziellen Unterhaltungsindustrie beherrscht wird?"
Hier weist er der Religion eine entscheidende Rolle zu. "Das Christentum", so sagt Halik, "ist nicht darauf angewiesen, eine Flagge zu sein, die über Europa weht. Aber Europa und die Welt sind auf Menschen angewiesen, die dem Wort Liebe jene tiefe Bedeutung wiedergeben, die es einmal in der radikalen Botschaft des Evangeliums hatte."
"Die entfesselte Kriegsgewalt im Detail"
Die Tageszeitung TAZ rezensiert die eben eröffnete Ausstellung "Der Erste Weltkrieg" im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Sie zeige "nüchtern die entfesselten Kriegsgewalt", schreibt Ulrich Gutmair. Mit 500 Exponaten wollen die Ausstellungsmacher Juliane Haubold-Stolle und Andreas Mix "keine thesenstarke, neue Interpretation des Ersten Weltkrieges, seiner Ursachen und Folgen liefern, sondern ganz bescheiden zeigen, wie die entfesselte Kriegsgewalt im Detail aussah".
Der Rezensent bestätigt den Ausstellungsmachern: "Ihr Konzept funktioniert gut". Zwei von 17 Abteilungen widmen sich einem Kapitel des Krieges, das erst jüngst Beachtung gefunden hat. "Fotografien zeigen die bürokratische Erfassung der Bevölkerung im Osten, die Flüchtlingstrecks, die Deportationen und massenhaften Hinrichtungen von Spionen."
Dabei wird deutlich, "der zynische Umgang mit Menschenmaterial betrifft in diesem Krieg nicht nur Millionen von Soldaten, die man verheizte. Er zeigte sich auch am Umgang der Kriegsparteien mit der Zivilbevölkerung, in den besetzten wie den eigenen Gebieten".
Eine ungeschickte Entscheidung
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG stellt zwei Ausstellungen zum gleichen Thema in Stuttgart und Karlsruhe vor, die "einen Einblick in die Sinnesgeschichte zwischen 1914 und 1918 und in die Traumatisierungen der Soldaten geben. 'Fastnacht der Hölle – Der Erste Weltkrieg und die Sinne'" nennen die Stuttgarter Historiker ihren Beitrag zum Erinnerungsjahr 2014.
"Viele Alltagsgegenstände helfen, den sinnlichen Eindruck von der Realität des Krieges zu vervollkommnen", so kann man Kriegszwieback kosten oder sich dem markerschütternden Geschossdonner der Front aussetzen. "Die Ausstellung sensibilisiert für die ungeheuren Belastungen des menschlichen Lebens", die massenhaft zu Kriegsneurosen führten. Die wesentlich kleinere Ausstellung in Karlsruhe ist so besonders, weil "es sich um die erste deutsch-französische Ausstellung überhaupt zu diesem Thema handelt".
Über die Wahl des diesjährigen Büchner-Preisträgers Jürgen Becker scheint das Feuilleton nicht entzückt zu sein. Lothar Müller nennt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die Wahl eine ungeschickte Entscheidung, weil verspätet, im Sinne von überfällig für eine Orientierungsfigur jüngerer Autoren.
Andreas Platthaus fordert in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mehr Mut, größere Risikobereitschaft bei der Wahl der Preisträger. Er kritisiert: Gerade diese offensichtliche Suche nach dem Problemlosen sei das Problem.
Mehr zum Thema