Aus den Feuilletons

Petition gegen Bratwurstverbot in Kassel

"Ahle Würschte", eine nordhessische Spezialität, hängen in der Metzgerei Rohde in Kassel am Haken (aufgenommen 2004).
"Ahle Würschte", eine nordhessische Spezialität © picture-alliance/ dpa / Uwe Zucchi
Von Ulrike Timm |
Die Ahle Wurst hat es schwer in diesen Tagen: Auf dem Kasseler Stadtfest soll es in diesem Jahr keine Bratwurst geben. Nun regt sich Widerstand, berichtet die "TAZ" und wiegelt ab.
Ein besonders schöner Satz heute steht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, er führt uns in eine schwäbische Autowaschanlage:
"Wer den Mitarbeitern zuschaut, wie sie ihrer blechernen Klientel liebevoll mit der Geschicklichkeit eines sizilianischen Barbiers den Lack massieren, muss sich wundern, dass die Autos nicht wohlig drauflosgrunzen."
An sonnigen Frühlingssamstagen herrscht Stoßverkehr mit hunderten Autos, da entsteht doch vor dem inneren Ohr sofort ein vielstimmiges und orgiastisches Dauergrunzen. Und genau dieses erotische Verhältnis zum fahrbaren Untersatz beschert dem Haus der Geschichte in Bonn derzeit Besucherschlangen, die Ausstellung "Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos" findet viele Belege dafür, dass das Auto "Identitätsprothese", "Fetisch", gar "Potenznachweis" sei. Letzteres vor allem für diejenigen, die im unteren Lendenwirbelbereich nicht mehr gar so locker sind, sagt ein Psychoanalytiker… Das sitzt, und selbst wenn sich mit der Umweltbewegung längst eine stabile Gegnerschaft formiert hat, wirken die Dienstfahrräder, mit denen die Grünen 1983 in den Bundestag kamen, in der Autoschau wohl eher wie ein kleiner traurigtrotziger Sidekick. Die SZ titelt "Ein Teil von uns" und meint natürlich das Ding mit vier Rädern, nicht mit bloß zwei.

Denis Scheck: "Karlsson vom Dach" gehört zum Kanon

Jetzt aber: richtig Kultur. "Wozu Klassiker, Herr Scheck?" fragt die WELT den Kritiker. Denis Scheck darf seinen literarischen Kanon entwerfen, weiß um den Größenwahn solch eines Unternehmens und frohlockt doch über die Möglichkeit, den Leuten zu sagen, worauf es ihm da ankommt: Ein Klassiker sei "ein Werk, das meinen Blick auf die Welt nachhaltig verändert". Das hat Astrid Lindgrens "Karlsson vom Dach" ganz bestimmt getan, schon weil das gerade richtig dicke Kerlchen in den besten Jahren immer mit einem eigenartigen Propeller angeflogen kommt und damit sofort eine besondere Perspektive einnimmt. "Karlsson vom Dach" gehört für Literaturkritiker Denis Scheck unbedingt zum Kanon. Das macht neugierig auf die Auswahl, die als "wild" versprochen wird und über Sprach- wie Genregrenzen hinausgehen will. Und so anachronistisch ein Kanon heute wirkt – bei 90.000 Neuerscheinungen pro Jahr zucken viele bloß noch die Achseln. Auch Literaturkollegen sind nicht zu beneiden, lesen sie doch von Berufs wegen bestimmt unendlich viel Schrott.

Cornelia Funke findet in "Jim Knopf" Trost

Und fast wie bestellt zieht sie sich durch heute, die Suche nach den Werken, die es wert sind. Im TAGESSPIEGEL spricht die große kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood über die "Aktualität von Klassikern in Zeiten von Trump", in der WELT darf die Kinderbuchautorin Cornelia Funke ihre privaten zehn Klassiker benennen, darunter finden sich – Heines "Deutschland. Ein Wintermärchen" und Endes "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer". Auf Platz 1. Und die Pressebeschauerin jubiliert, ist der Kinderklassiker doch eines ihrer absoluten Trostbücher bis heute. Der Schriftsteller Durs Grünbein bringt zum 2000. Todestag seinem Klassiker, dem Dichter Ovid, eine Eloge – dies in der Süddeutschen Zeitung. In jungen Jahren sei ihm Mythenkenner Ovid ein Wegweiser durch die Dresdner Kunstmuseen gewesen, erzählt Grünbein, heute bevorzugt er vor allem Ovids "Ars amatoria", das sei ihm das einflussreichste Lehrgedicht der Antike, samt saftiger fleischeslustiger Gebrauchsanweisungen zu Eros und Sex.

Ahle Wurst: "Ohne die kann ich nicht"

Nach so viel Hochkultur noch einen handfesten Streit. In Kassel geht es um die Wurst, die Ahlesche, kein 08/15 Würstchen, sondern aufgenommen in die "Arche des Geschmacks". Das Problem: das arme Würstchen soll von einem Stadtfest ausgesperrt werden, kein Wurststand dabei diesmal – dagegen formiert sich Protest, Wurstfans wollen sich nicht gängeln lassen, ein Essensaktivist bringt es auf den Nenner "Ohne die kann ich nicht". Steht in der TAZ. Die nennt den Link zur Petition und rät den Wurstbewussten trotzdem zu großmütigem Verzicht. "Hat es die Ahle Wurst denn nötig, zu glauben, nun sei es aus, nur wegen eines einzigen wurstfreien Tages?". Eben. Ist doch ein Klassiker.
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