Aus den Feuilletons

Parteienoligarchie und Framing

04:16 Minuten
Das verzerrte Spiegelbild des Deutschen Bundestages in einer Pfütze.
„Jaspers sah eine ‚Parteienoligarchie‘ am Werk und Westdeutschland wegen einer möglichen Großen Koalition auf dem besten Weg zu einer Diktatur“, schreibt Willi Winkler in der „SZ“. Wie steht es heute um die BRD? © imago/Photocase
Von Hans von Trotha · 25.02.2019
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Zum 50. Todestag von Karl Jaspers erinnert die "SZ" an seine Polemik "Wohin treibt die Bundesrepublik?". 1966 wurde in Deutschland über Notstandsgesetze debattiert, heute wird über "Framing" und eine "Zensurinfrastruktur" durch Uploadfilter diskutiert.
Wohin treibt die Bundesrepublik? In eine Parteienoligarchie? Führen Große Koalitionen in die Diktatur? Werden die Bürger ständig unterschätzt? Gibt es etwa wieder Zensur?

"Wohin treibt die Bundesrepublik?" So lautete der Titel einer im Frühjahr 1966 erschienen Streitschrift des Philosophen Karl Jaspers, dessen Todestag sich an diesem Dienstag zum 50. Mal jährt, woran Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN erinnert.

Politische Themen 1966 und 2019

Winkler schreibt:
"Jaspers sah eine ‚Parteienoligarchie‘ am Werk und Westdeutschland wegen einer möglichen Großen Koalition auf dem besten Weg zu einer Diktatur. Er rühmte das Grundgesetz, zweifelte aber schon an der Wahrheit seiner Prämisse, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgehe. Dafür beanspruchten die Parteien zu viel Macht. 1966 wurde über Notstandsgesetze debattiert, mit denen sich im Ernstfall die parlamentarischen Rechte einschränken ließen".
2019 wird in der Bundesrepublik über "Framing" diskutiert und über eine "Zensurinfrastruktur" durch Upload-Filter.

Framing: Wird der Bürger unterschätzt?

Oliver Weber schreibt in der FAZ:
"Seit einigen Jahren erobert der Begriff ‚Framing‘ die Öffentlichkeit. Der Wahlsieg von Donald Trump, die Erfolge der AfD, das Scheitern der Wahlkampagne von Martin Schulz: All diese Dinge hätten, so wurde insinuiert, wesentlich mit dem Sprachgebrauch verantwortlicher Politiker zu tun. Die Rahmen – oder ‚Frames‘ –, die sie in ihren Statements verwenden, würden einen maßgeblichen Einfluss auf die politische Meinungsbildung der Bevölkerung ausüben. Der Bürger wird ständig unterschätzt."

Contentframing im Interregio

Währenddessen stellt, dies sei dazwischengeschoben, Doris Akrap in der TAZ eine ganz andere Form von Framing vor: "Contentframing im Interregio":
"Wer nicht auf Twitter ist, sitzt in der Bahn. Man kann natürlich auch in der Bahn auf Twitter sein, aber das ist gänzlich überflüssig. Die Impulsreferate von Bahnreisenden können mit den Contentframern der Timelines locker mithalten. Wenn es gut läuft, reicht eine Bahnreise mittlerer Länge für zwei bis drei Kolumnen. Meinungsführer und Meinungsmitläufer können die Themen-Threads von Vierertischen in der Bahn für mehrwöchige Debattenreihen ausschlachten."

Uploadfilter: Das Ende der Freiheit?

Derzeit dürfte da mit einiger Sicherheit der Begriff "Uploadfilter" fallen. Es geht um Urheberrechte im Netz. Dazu schreibt die WELT:
"Um die Reform des Urheberrechts wird erbittert gekämpft – zwischen Tech-Konzernen, Netzaktivisten und Kreativbranche. Angeblich droht das Ende der Freiheit."
Christian Meier befragt dazu Gerhard Pfenning, den Sprecher der Initiative Urheberrecht. Der hält den Initiatoren von Hashtags wie #Merkelfilter und #NiewiederCDU sowie dem Vorwurf einer geplanten "Zensurinfrastruktur" entgegen:
"Es wird nicht zensiert. Zensur setzt voraus, dass ein Staat ihm missliebige Werke verbieten will. Zensur bedeutet Unterdrückung von Meinungen. Hier wird keine Meinung unterdrückt."
Na dann …

Karl Jaspers Polemik war monatelang Bestseller

Bei #NiewiederCDU noch einmal zurück zu Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN Karl Jaspers:
"Karl Jaspers war im Dritten Reich zwangspensioniert und mit Veröffentlichungsverbot belegt worden; noch in den letzten Kriegswochen drohte ihm und seiner jüdischen Frau die Verschleppung in ein KZ. Sein Traktat ‚Die Schuldfrage‘ war eines der ersten Bücher, die nach der Kapitulation erschienen. Kaum ein politisches Buch hat in der alten Bundesrepublik mehr Aufsehen erregt. Innerhalb von zwei Wochen waren 30.000 Exemplare verkauft.
Der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Reinhard Gehlen, dem nicht allzu viel an politischer Freiheit lag, ließ Jaspers’ Buch von einer ‚Sonderverbindung‘ prüfen, die sonst gegen eine Monatspauschale von zweihundert D-Mark die 'Neue Zürcher Zeitung' auswertete oder einen Radiohändler aushorchte, der heimlich DDR-Rundfunk hörte.
Als Ende1966 das ehemalige NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger von einer Großen Koalition zum Bundeskanzler gewählt wurde, sah Jaspers seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt und wurde Schweizer Staatsbürger. Seine Polemik war monatelang ein Bestseller und verkaufte sich fast doppelt so gut wie Adenauers gleichzeitig erschienene Memoiren."
Winkler weiter:
"Hannah Arendts Ehemann Heinrich Blücher bezeichnete ‚Wohin treibt die Bundesrepublik?‘ als ‚das mutigste Buch, das je ein Deutscher über Deutschland geschrieben hat‘. Sollte man vielleicht mal wieder reinschauen."
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