Aus den Feuilletons

"Parkhaus der Kulturen"

Der Richtkranz für das Berliner Humboldt-Forum wartet auf seine Bestimmung.
Wartet auf seine Bestimmung: Der Richtkranz für das Berliner Humboldt-Forum. © Deutschlandradio - Matthias Dreier
Von Hans von Trotha · 11.06.2015
Die Kritik am Neubau des Berliner Stadtschlosses in den Feuilletons reißt auch am Tag des Richtfestes nicht ab. Während "Die Welt" das Gebäude als "Bau gegen den Phantomschmerz" bezeichnet, zitiert die "SZ" Berliner Schnauze.
Ästhetische Urteile verbieten sich angesichts eines Rohbaus noch und angesichts einer pseudohistorischen Rekonstruktion vielleicht überhaupt. Umso näher liegen da psychologische Interpretationen. In der WELT bezeichnet Marcus Wöller das Berliner Schloss anlässlich von dessen Richtfest als Bau "Gegen den Phantomschmerz" und zitiert den ehemaligen Bauhaus-Direktor Philipp Oswalt: "Erstens erkennt man die sich seit den Siebzigerjahren radikalisierende Sehnsucht, das 20. Jahrhundert ungeschehen zu machen und am 19. Jahrhundert anzuschließen. Zweitens ist es eine nationale Setzung, wo man mit halb schlechtem Gewissen an das preußische Erbe anknüpfen will, das man in einem Akt der Political Correctness wieder konterkariert mit der Idee, im Schloss die außereuropäischen Sammlungen unterzubringen."

Programmtipp: Konzert am 2. Juni, 20:03 Uhr - Das Klingen ist eine Baustelle - Live aus dem Rohbau des Berliner Schlosses
Unser Multimedia-Spezial: Das Humboldt-Forum feiert Richtfest
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In der FAZ fragt Andreas Kilb: "Kann man ein verschwundenes Schloss wiederaufbauen?" und antwortet: "Ja, man kann, und man braucht dafür weder Lokal- noch Nationalpatriotismus, nur Sorgfalt und Präzision. Seinen Inhalt muss das Berliner Schloss erst noch finden, seine äußere Form hat es jetzt bekommen. Es steht nicht mehr zur Debatte. Es steht."
Bei Jens Bisky in der SÜDDEUTSCHEN heißt es: "Der Kasten steht. Die Berliner", weiß Bisky, "spotten im Vorübergehen über das 'Parkhaus der Kulturen'". "Das Haus", schreibt er, "könnte späteren Historikern dazu dienen, die Mentalität der Berliner Republik zu erklären: überrascht von der Einheit, misstrauisch gegenüber Heilsversprechen und nationalem Auftrumpfen, auf der Suche nach einem sanften Selbstbild, unsicher in der Formgebung" und fasst schließlich zusammen: "Wir bleiben auch nach dem Jahrhundert der Avantgarden mal mehr, mal weniger glückliche Historisten."
Der Moment, in dem alle Feuilletonisten, wenn nicht unbedingt zu Historisten, so doch zu Historikern werden, ist der Nachruf - stets erster Text in der Vergangenheit, feuilletonistischer Felgaufschwung in den Nachruhm. In der SÜDDEUTSCHEN würdigt Andrian Kreye den Saxofonisten Ornette Coleman als "Befreier". Der, so Kreye, "lieferte mit dem Album 'Free Jazz' ein Manifest, das einen Bruch in der Musikgeschichte markierte. Nie wieder waren Regeln und Formen danach Zwang oder Dogma. Nun ist er gestorben."
"Der Mann mit den tausend Masken lebte für seine Kunst"
Auch "Herr Zukunft ist fort". So ist Dietmar Daths Nachruf auf den Autor und Lektor Wolfgang Jeschke überschreiben. Der habe, so Dath, "die Science-Fiction in Deutschland von ihren provinziellen Schlacken gesäubert".
Vor allem aber stirbt er in den Feuilletons des Tages: "Der Fürst des Schreckens" (FAZ), "Der Meister des Schreckens" (BERLINER ZEITUNG), der Vampir, dem man verfallen musste (DIE WELT) - Christopher Lee.
Man staunt, wie wenig Distanz die Profis bisweilen zum Genre haben. Verena Lueken fragt in der FAZ: "Wenn der Mann, vor dem man sich ein Leben lang am allermeisten gefürchtet hat, stirbt - was sagt, was fühlt man dann?" Lueken kann zu ihrer Verteidigung immerhin anfügen: "'Tall, Dark and Gruesome' nannte er seine Autobiografie, ein Titel, dazu angetan, den Mann für seine Rollen zu halten. Es gab also Grund, sich zu fürchten."
Das hat Tobias Kniebe auch getan. Er schreibt in der SÜDDEUTSCHEN: "Mit (Lees) Abgang hat zwar der Tod nichts von seinem Schrecken verloren, wohl aber das Leben - es gibt nun niemanden mehr, vor dem man sich im Kino noch vergleichbar fürchten kann."
In der BERLINER ZEITUNG bemerkt Philipp Bühler: "Der Mann mit den tausend Masken lebte für seine Kunst, und blickt man auf die ellenlange Liste seiner Filme, hatte er für anderes auch gar keine Zeit." Im TAGESSPIEGEL macht Gunda Bartels "Mitleid mit dem Monster" geltend.
Als wären das der aktuellen Toten nicht genügt, erinnert Dirk Schümer in der WELT daran, dass Frank Schirrmacher vor einem Jahr gestorben ist. Er tut dies, um darauf hinzuweisen, dass demnächst ein Tod zu beklagen sein könnte, der auch das Ende dieser Kolumne bedeuten würde: "Ein Jahr nach Schirrmachers Tod", schreibt Schümer, "gibt es sein Feuilleton als Schicksalsort nicht mehr. ... Dass ... die Zeitung ein Medium in Vergangenheitsform sein soll – diese Vision malte Schirrmacher zur Abschreckung in schwarzen Farben. Wir müssen uns", so Schümer in der Welt, "gewaltig anstrengen, damit sein Zweckpessimismus unrecht behält."
Und wir werden diese Anstrengungen weiter beobachten und protokollieren. Hoffentlich noch lang.
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