Aus den Feuilletons

Paris hat noch keine Antwort

Das "Cafe Bonne Bière" war auch Ziel der Anschläge von Paris am 13.11.2015
Das "Cafe Bonne Bière" war auch Ziel der Anschläge von Paris am 13.11.2015 © Revierfoto / dpa
Von Hans von Trotha · 09.12.2015
Die Wochenzeitschrift "Die ZEIT" wirft einen Blick nach Paris: Dabei sei auffällig, dass die Stadt unfähig sei zu trauern, ihr Lebensstil sei angegriffen und, so schreibt Schriftsteller Moritz von Uslar: Paris habe dieser Tage die Sprache noch nicht wiedergefunden.
Eine "Unfähigkeit zu trauern" macht Marie Schmidt in der ZEIT aus.
"Bei den Pariser Anschlägen",
schreibt sie,
"ist der Lebensstil der bourgeoisen Boheme angegriffen worden ... Auch eine Gesellschaft als Kollektiv muss trauern ... Man müsste",
formuliert sie im Konjunktiv,
"schon durch die Trauer hindurch, um aushalten zu können, dass das Leben in unseren Städten, hinter gläsernen Fassaden und unter Massen von Menschen, verwundbar bleibt."
Moritz von Uslar macht, auch für die ZEIT, einen Spaziergang mit dem Pariser Galeristen Kamel Mennour und stellt fest:
"Es ist schon auffällig, wie gerade die klugen und smarten Menschen im Paris dieser Tage ihre Sprache noch nicht wiedergefunden haben ... Auf Tod und Terror hat diese Generation, die zeit ihres Lebens dem Schönen und dem Spaß verpflichtet war, erst mal keine Antwort."
Stadt der Lust
In der WELT ist es Tilman Krause ein ausführliches Vergnügen, im Detail zu feiern, weswegen die Stadt zum Ziel der Fundamentalisten wurde:
"Paris", schreibt er, "war und ist nicht nur die Stadt der Liebe, sondern vor allem auch die Stadt der gut organisierten Lust".
"Eine sexuelle Topografie" nennt er sein Stück, das historisch anfängt und in einer Art Leistungsvergleich zwischen Paris und Berlin als schwuler Ausgehdestination endet. Berlin mache Paris "den Rang (streitig), `Hauptstadt der Perversionen´ zu sein (so der O-Ton der Attentäter im Krause-Zitat). "Aber", so Krause,
"was Berlin nie schaffen wird: als Ganzes über jenes erotische Fluidum zu verfügen, das Paris so flirrend und verführerisch macht."
Da ist man schon mal Erster und dann ist es doch wieder nicht echt. Wieder nur Kopie. Oder Klon. Oder Fälschung. Eines von diesen Dreien - aber welches?, fragt Lothar Müller in der SÜDDEUTSCHEN, haben sie in einer Kirche in Palermo dort hingehängt, wo einmal ein echter Caravaggio hing, bis der vor 46 Jahren gestohlen wurde. Jetzt wurde das Bild digital restauriert, einschließlich Patina. "Ist das in Ordnung?", fragt Lothar Müller. Und findet natürlich: Ist es nicht. Denn:
"Es gehört zur Größe der Kunst und vor allem der Malerei, dass sie sich verändert, dass sie manchmal eben auch beschädigt wird und zuweilen sogar verloren geht. Es gehört zu ihr eine Art Stoffwechsel mit der Umgebung ... Die Haltbarkeit des Originals ist endlich. Umso wertvoller das, was trotzdem erhalten werden kann."
Ausgepresster Tatort
Wobei keineswegs im Umkehrschluss alles wertvoll ist, was uns erhalten bleibt. Der Tatort zum Beispiel. Der ist unverwüstlich. Außer, glaubt man Jürn Kruse, in den Fingern des SWR. "Es gibt halt nicht mehr viele Fernsehevents", befindet Kruse in der TAZ:
"Also wird der `Tatort´ ausgepresst. Er muss so viel Aufmerksamkeit wie möglich liefern. In dieser Disziplin hat der SWR bisher unterwältigende Leistungen geboten."
"Unterwältigend" – das ist schon ganz schön fies. Jürn Kruse – ein "Hatewatcher"?
Das ist eine eigenwillige Spezies, von der Fabian May in der SÜDDEUTSCHEN erzählt:
"Das sind Zuschauer, die eine Serie zwar hassenswürdig finden, aber nicht von ihr loskommen, und sich dann in Kommentarspalten des Netzes über ihr Leiden an der Serie auslassen."
Warum aber sollte man das tun, um Gottes Willen?
"Es sind", lernen wir, "gefallene Fans, jeder von ihnen hat eine Geschichte mit der Serie, teilt seine Hoffnungen und Enttäuschungen mit den anderen ... Ein Nutzer twittert auf die Warum-Frage zurück: `Es ist eher eine Art wirklich perverser Optimismus.´"
FAZ schaut YouTube
Wirklich perverser Optimismus steckt natürlich auch dahinter, wenn ein alter Mann hofft, alle seine Angehörigen würden zu seiner Beerdigung kommen. Jetzt haben sie sich auch in der FAZ-Redaktion diesen EDEKA-YouTube-Spot angeschaut, über den seit Tagen alle sprechen. "Warum", fragt nun also auch Felix Simon für die FAZ, " lassen sich plötzlich Millionen von Reklame zu Tränen rühren?"
So kurz vor dem Fest gelingt Simon noch eine richtig theologische Interpretation. Er findet, man könnte "solche Filme mit moralischem Ablasshandel vergleichen. Wer bei Edekas herzerweichendem `Heimkommen´-Film auf `Teilen´ und `Gefällt mir` klickt, zeigt allen anderen, dass ihm das Thema nahegeht und er kein Egoist ist, der sich um andere nicht schert: Seht her, I care."
So werden rechtzeitig vor Weihnachten aus den Hatewatchern aus der SÜDDEUTSCHEN Dank EDEKA und FAZ Care-Tuber. Und es wird doch noch alles gut.
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