Aus den Feuilletons

Optionen im Brexit-Chaos

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Torhüter Bert Trautmann springt einem Ball vor dem Tor hinterher. Auf dem Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1952 liegt er waagerecht in der Luft, der Ball ist weit vor ihm.
Der Torhüter Bert Trautmann eroberte nach dem zweiten Weltkrieg die Herzen der Engländer © picture alliance / Photoshot
Von Hans von Trotha · 13.03.2019
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Dass Entscheidungen im Brexit-Prozess auch vom Fußball bestimmt werden könnten, schreibt die "Zeit". Bereits vor fünfzig Jahren trug ein deutscher Torwart im britischen Exil dazu bei, dass sich die Beziehung von der Insel zum Festland verbesserte.
"Sie können es einfach nicht lassen", stöhnt Thomas Assheuer in der ZEIT. Er meint die Linken.
"Linke Ideen und linke Bewegungen haben überall Konjunktur. Doch immer wieder mobilisiert ihre Kapitalismuskritik das Ressentiment gegen Juden. Das ist eine Schande."
Mit Blick auf Frankreich spricht er von einer "Schleppnetztheorie", einem "kalkulierten Fischzug im Trüben":
"Ohne Scheu vor falschen Freunden müsse die Linke auf das Volk zugehen und es dort abholen, wo es nun mal stehe: tief im Brackwasser seines Ressentiments. Auch des antisemitischen. Solange linke Parteien, linke Bewegungen, linke Nationale und linke Freund-Feind-Denker antisemitische Ressentiments dulden, sie aufrufen, verbreiten oder mobilisieren, so lange existiert keine Linke, jedenfalls keine, die einen moralischen Anspruch erheben kann.
Sie agiert dann nur als eine intellektuell verwahrloste Bedarfsgemeinschaft zur Durchsetzung partikularer Interessen. Mit Jean-Paul Sartre gesagt: 'Nach dem Holocaust ist Antisemitismus keine Meinung mehr, sondern ein Verbrechen'."
Auch auf England geht Assheuer ein, erinnert etwa daran, wie drei jüdische Zeitungen "in einer gemeinsamen Aktion eine Warnung vor einem künftigen Premier Corbyn (druckten) – für Großbritanniens Juden sei er eine 'existenzielle Bedrohung'."

Vom Feind zum Freund

In der taz erzählt Ralf Lorenzen eine andere Geschichte von der Insel, überraschende Überschrift: "Deutscher Heimatfilm auf englischem Boden". Es ist die Geschichte von Bernhard Carl, genannt "Bert" Trautmann, dessen Leben bislang unter Titeln wie "Vom Hitlerjungen zur Pokal-Cup-Legende" behandelt wurde und jetzt als "Trautmann" in die Kinos kommt. Lorenzen schreibt:
"Der sportliche Blondschopf und Hitlerjunge gewann bei Reichsjugendwettkämpfen im Berliner Olympiastadion Medaillen im Weitsprung und im Handgranatenwerfen. Mit 17 meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe. Belegt ist, dass Trautmann an der Ostfront mit eigenen Augen gesehen hat, wie Juden massenhaft umgebracht wurden."
Er ergab sich den Engländern, ging nach England, wurde Fußballer und schaffte es, von Manchester City angeheuert zu werden.
"Während der ersten Spiele brüllten Zuschauer 'Sieg Heil' und hoben den rechten Arm. Die Stimmung änderte sich erst, als der Rabbiner der Stadt, der 1938 von Berlin nach Manchester geflüchtete Alexander Altmann, an die Menschen appellierte, ihren Hass auf die Deutschen nicht an einem jungen Mann auszuleben.
Die ersten Worte des britischen Soldaten, dem (Trautmann) sich in den letzten Kriegstagen ergab, lauteten seiner Erinnerung nach: ‚He Fritz, magst Du eine Tasse Tee?‘"
Dafür lieben wir die Engländer. Die Kehrseite davon ist – nun ja, eben die Kehrseite davon.

Verzweifelte Ratlosigkeit

"Albtraum, Chaos, Schande", fasst Gina Thomas in der FAZ die aktuelle Situation auf der Insel zusammen.
"Nach der gescheiterten Abstimmung vom Dienstagabend war auf allen Seiten nur noch Verzweiflung und Ratlosigkeit über die verfahrene Lage zu vernehmen. Am Morgen hatte Umweltminister Michael Gove noch auf den unerwarteten Sieg von Manchester United gegen Paris Saint Germain verwiesen, um zu argumentieren, dass die Premierministerin den Vertrag doch noch durchziehen könne."
Womit noch einmal deutlich wird, welche Bedeutung der Fußball in Manchester für die Insel hat. Neben Shakespeare. Und vor der Queen, wie es scheint.

Die Musikszene ist anders als die Politik

"Eure Queen ist ein Reptil", titelt die ZEIT. Dabei handelt es sich um den Titel des jüngsten Albums der Band Sons of Kemet. Eigentlich soll Kevin Le Gendre für das Wochenblatt einen "Streifzug durch Großbritanniens brodelnde Jazz-Szene" unternehmen, wir sind ja im Feuilleton. Aber auch hier ist die entscheidende Frage: "Was tun, wenn der Brexit kommt?"
Le Gendre nennt den Brexit einen "tragikomischen Eiertanz":
"Während die höllischen Verhandlungen irgendeinem unschönen Abschluss entgegentorkeln – oder auch nicht –, befinden sich die Jazzmusiker wie der Rest des Landes in einem Zustand der Verwirrung und der Besorgnis.
Wenn uns die Geschichte des Jazz eines lehrt, dann dass die hingebungsvollen Künstler oft mit dem Alter besser werden, vor allem wenn sie Herausforderungen zu überwinden haben."
Was sie offenbar ganz entschieden von den Politikern auf der Insel unterscheidet.
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