Aus den Feuilletons

"One man, one vote"

Der Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Giovanni di Lorenzo, hält am 02.04.2014 im Schauspielhaus in Hamburg eine "Zeit"-Ausgabe mit einem Lokalteil für Hamburg. Die "Zeit" erscheint am 3. April erstmals mit einem Lokalteil für Hamburg.
Der Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Giovanni di Lorenzo, hält eine Ausgabe mit einem Lokalteil für Hamburg in den Händen. © picture alliance / dpa
Von Klaus Pokatzky · 26.05.2014
"Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo hat Ärger mit der Staatsanwaltschaft: Weil er bei der Europawahl zwei Mal wählte, ist er angezeigt worden. Dass mehrfach wählen verboten sei, habe er nicht gewusst.
"Die Franzosen", lesen wir in der Tageszeitung DIE WELT:
"Die Franzosen gelten in Deutschland als ein Volk, das lieber manchmal etwas lächerliche Übersetzungen benutzt, als einen Anglizismus zu gebrauchen."
Seit dem europäischen Wahlsonntag gelten die Franzosen in Deutschland als ein Volk, das vor allem eine seltsame Partei wählt.
"Es ist ein echter Camembert-Faschismus,"
so beschreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG den Wahlsieger.
"Von der eigenen Überlegenheit überzeugt, bösartig, hasserfüllt und ohne jede langfristige Perspektive,"
meint Nils Minkmar zum Front National:
"Aber wo ist der Politiker, die Politikerin, die den Front frontal angeht?"
Und dann folgt eine Auflistung der politischen Klasse unseres Nachbarlandes, dass einem angst und bange werden kann.
"Die frühere Regierungspartei UMP ist fest im Griff teils krimineller Skandale."
So viel zu den Konservativen - und die Sozialisten?
"Skandalmäßig haben sie in den vergangenen Jahren auch einiges vorzuweisen, angefangen von der Geschichte mit Dominique Strauss-Kahn, den sie beinah zum Präsidenten gemacht hätten, über den Haushaltsminister, der ein Schwarzgeldkonto verheimlichte, bis zum linken Präsidentenberater, der für sein Dutzend handgenähter Luxusschuhe eigens einen Schuhputzer ins Büro bestellte."
Da loben wir uns unsere Sozialdemokraten - die glauben wenigstens nicht, dass sie Höflinge von Ludwig dem Vierzehnten sind.
Fälschen von Wahlunterlagen?
"Womit fängt politische Bildung an, wenn nicht mit 'One man, one vote'?"
Das fragt die BERLINER ZEITUNG; allerdings nicht, um auf die Unterschiede vom sonnenköniglichen Absolutismus zur demokratischen Aufklärung zu verweisen - sondern, weil in Hamburg ein sehr prominenter Medienmann nach dem Prinzip gewählt hat: "One man, two votes".
"Ein Mal gestern im italienischen Konsulat und ein Mal heute in einer Hamburger Grundschule."
Erzählte, beim ARD-Talk von Günther Jauch zur Europawahl, der Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Giovanni di Lorenzo: Sohn eines Italieners und einer Deutschen - und damit Inhaber von zwei Pässen und zwei Wahlaufforderungen.
"Mir tut das aufrichtig leid", zitiert ihn nun der Berliner TAGESSPIEGEL.
"Am Montag teilte die Staatsanwaltschaft Hamburg mit, dass sie gegen di Lorenzo wegen des Verdachts der Wahlfälschung ermittelt," heißt es in dem Blatt weiter, dessen Herausgeber Giovanni di Lorenzo ist.
Hippietum als Staatsraison
"Am Wochenende war Volksentscheid in Berlin", lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG - in Berlin durfte nämlich ganz legal mehrfach abgestimmt werden: über Europa und über eine mögliche Bebauung des alten Flughafens Tempelhof. "Es geht um eine Fläche von 355 Hektar", schreibt Gerhard Matzig. "Das entspricht etwa 500 Fußballfeldern." Und die Mehrheit der Wähler hat entschieden: Das Feld bleibt frei; auch am Rande, den der Berliner Senat bebauen wollte.
"In der preußischen Hauptstadt wurde das Hippietum Staatsraison," tobt DIE WELT - wir Wilmersdorfer durften nämlich auch entscheiden, ob die Kleingartenkolonie Oeynhausen bebaut wird.
"77 Prozent der Abstimmungsberechtigten in Charlottenburg-Wilmersdorf wollen das nicht," schreibt Ulf Poschardt.
"Es sind die ewigen Studenten, das Projektprekariat und die schmerbäuchigen Apologeten der Biotope für Wenignutze und rollerbladende Transferempfänger, die denen selbstbewusst Grenzen aufzeigen, die sich zackig ein schnelleres und anstrengenderes Berlin wünschen."
Tja, so ist die Demokratie. "Wer Berlin liebt, muss Geduld mitbringen", schäumt der gebürtige Nürnberger noch:
"Der politische Apparat ist bis auf einige Ausnahmen bestenfalls zweitligatauglich, die Bevölkerung sich selbst genug, der zivilisatorische Humus weiterhin dünn ausgelegt."
Vorsicht: Das färbt ab, Kollege.