Aus den Feuilletons

Olympia bald in Guantánamo?

Die Olympischen Ringe in Sotschi vor dem Hauptgebäude des Flughafens
In Sotschi beginnen in wenigen Tagen die Olympischen Spiele. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Jens Büttner
Von Hans von Trotha · 28.01.2014
Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte, den Olympischen Spielen in Sotschi und mit einem BBC-Schwerpunkt zum Ersten Weltkrieg.
"Die Rolle der Philosophie als Volkserzieherin bleibt begründungspflichtig."
Was für ein Satz. Er stammt von Dirk Pilz, steht in der BERLINER ZEITUNG und richtet sich gegen Johann Gottlieb Fichte. Der ist vor 200 Jahren gestorben und hatte auf seiner To-do-Liste nichts Geringeres als "die vollständige Lösung des Rätsels der Welt und des Bewusstseins mit mathematischer Evidenz". "Es ist ihm nicht geglückt", konstatiert Pilz herzlos.
Jens Bisky berichtet in der SÜDDEUTSCHEN unter der Überschrift "Wie man auf interessante Weise Unrecht hat" über Fichte. Doch die Herren Fichte und Pilz hinterlassen ja eine ganze andere Frage: Wer taugt zum Volkserzieher, wenn nicht die Philosophie?
Wie wär´s mit dem Sport? Jürgen Kaube berichtet in der FAZ: IOC-Präsident Thomas Bach ... kritisiert gerade hochrangige Politiker dafür, dass sie den Olympischen Winterspielen im Diktaturgebiet Sotschi fernbleiben. Er fordert dazu auf, zwischen Russland und Putin zu unterscheiden und die politische Ansicht zur Lage des Landes nicht auf die Spiele zu übertragen. Außerdem werde gerade wegen der Olympischen Spiele jetzt so viel über den Umgang mit Homosexuellen in Russland geredet, da sehe man doch die positiven Auswirkungen der Vergabeentscheidung.
"Das finden wir übrigens auch, dass sich die Sache dann ja schon gelohnt hat, und freuen uns auf Spiele demnächst vielleicht in Nigeria, Guantánamo oder Tschetschenien."
Gedenkkultur
Oder die Historiker? Auch schlecht. "Ein holpriger Anfang", schreibt Jens Bisky angesichts der ersten Gedanken zum Ersten Weltkrieg: "Entsteht in Europa gerade eine gemeinsame Gedenkkultur?", fragt er und zitiert Herfried Münklers Diktum, der Erste Weltkrieg sei "ein Kompendium für das, was alles falsch gemacht werden kann". Da überkommt einen die Furcht, die Gedenkjahre könnten zu einer Art Anhang zum Kompendium werden. "Der deutsch-französische Historiker Etienne François", schreibt Bisky, "hat vor Kurzem im TAGESSPIEGEL geklagt, die 'exzessive Zurückhaltung des offiziellen Deutschlands' habe ein gemeinsames Gedenken der Kriegsgegner von einst beinahe unmöglich gemacht. Die Erinnerung an den Großen Krieg werde weiterhin national konzipiert."
Wer wüsste das besser als Gina Thomas, denn die berichtet aus England. Und Hand aufs Herz: Damit haben wir doch alle gerechnet, dass die Engländer - oder doch zumindest viele von ihnen - sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen:
"Christopher Clarks differenzierte Darstellung der Juli-Krise wird von diesem Lager als Entlastung der Deutschen empfunden, womit kleinkarierte Kritiker denn auch den Erfolg des Buches in Deutschland erklären. Der 'Daily Telegraph' brachte die Argumentation unlängst in der Schlagzeile auf den krassen Punkt: 'Deutschland hat den Ersten Weltkrieg ausgelöst, aber die Linke kann es nicht zugeben'."
2500 Sendestunden umfasst ein Vierjahresprogramm zum Ersten Weltkrieg, "das sich die BBC in Fernsehen, Rundfunk und Online vorgenommen hat." Das sind knapp 15 Wochen "Großer Krieg" ohne Schlaf und ohne Essenspause. Auf BBC-Niveau, denkt man - und stolpert über den Hinweis:
"Das Archivmaterial wird angereichert durch Interviews wie mit dem 'Downton-Abbey'-Autor Julian Fellowes, dessen Frau eine Nachfahrin des Kriegsministers Lord Kitcheners ist, (und) einer 105 Jahre alten Überlebenden der Beschießung von Hartlepool."
Bei der Auswahl von Zeugen scheint die Rolle der Geschichtswissenschaft als Volkserzieherin auch ganz schön "begründungspflichtig".
Demokratie der Schreibenden?
Vielleicht die Literatur? "Wer schreibt, der bleibt", weiß die WELT. Und Wolf Lepenies erklärt, wie's geht: "Der 'wahre Roman der Gesellschaft' entsteht im Internet", lesen wir.
"Der Historiker Pierre Rosanvallon hat die Franzosen aufgerufen, aus ihrem Alltagsleben zu berichten".
Pierre Rosanvallon erhofft sich nach Lepenies "die Wiederbelebung der Demokratie von einer Gesellschaft der Schreibenden."
Wenn das kein Potenzial zur Volkserziehung ist. Aber Vorsicht, Lepenies schreibt auch:
"Darin kommt eine Utopie zum Ausdruck, die in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts der Kritiker Sainte-Beuve vorausahnte und mit ironischem Entsetzen kommentierte: 'Man muss sich mit der Invasion der literarischen Demokratie ebenso wie mit dem Heraufkommen all der anderen Demokratien abfinden. Zu schreiben und etwas drucken zu lassen wird immer weniger etwas Besonderes sein. Jeder wird einmal Autor sein. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis jeder sein eigenes Feuilleton schreibt'."
Was soll man dieser 150 Jahre alten Prophezeiung im Rahmen eines "Blicks in die Feuilletons" noch hinzuzufügen?