Aus den Feuilletons

Niemand hat die Tugend auf seiner Seite

Der Autor Pankay Mishra - hier auf der Leipziger Buchmesse 2014 auf dem "Blauen Sofa"
Der Autor Pankay Mishra © Imago / STAR-MEDIA
Von Adelheid Wedel · 06.02.2015
Sanft, elegant und lehrreich sei die Kritik des indischen Autors Pankja Mishra an der Ideologie des Westens, meint der Feuilletonist der "Süddeutschen Zeitung" - er tituliert den Inder als "globalen Intellektuellen".
"Seine historischen Studien hätten ihn gelehrt, man muss immer sehr vorsichtig sein, wenn eine Gesellschaft beansprucht, die Tugend auf ihrer Seite zu haben."
Das ist so ein Satz, der einem im Gedächtnis bleibt, nachdem man den Artikel über den indischen Intellektuellen Pankaj Mishra in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gelesen hat. Und es bleibt nicht die einzige Denkanregung. Johan Schloemann hat Mishra in München getroffen, wo er an diesem Donnerstag als Gast der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung einen Vortrag über den "Liberalismus in Asien" gehalten hat.
"Selten kam fundamentale Kritik an der Ideologie des Westens so sanft, elegant und lehrreich daher wie bei ihm", resümiert der Autor. Schloemann nennt Mishra einen globalen Intellektuellen. Er selbst sagt von sich, er sei in vieler Hinsicht ein Europäer. Der Sohn eines Bahnarbeiters ist im Norden Indiens aufgewachsen und hat sich inzwischen mit seinen kritischen Essays einen Namen u.a. in der New York Times, der New York Review of Books und im Guardian erschrieben.
Mishra meint, "einen Grund für viele der globalen Probleme unserer Zeit identifizieren zu können. Es ist das Nachglühen, der anhaltende Zauber der Fortschrittsideologie des Westens."
Das heißt, immer noch liege unserer Wahrnehmung und Politik die Unterstellung zugrunde, ein bestimmtes Paket von Wohlstand, Rechtsstaat, Rationalisierung, Individualismus, Demokratie und freier Marktwirtschaft müsse man in die Welt exportieren – so wie es ist. "Aus der Sicht Asiens und anderer Teile der Welt sei jene ideologische Unterstellung des Westen", sagt Mishra, "doch leider derjenigen furchtbar ähnlich, mit der die Kolonialreiche einst ihre brutale Unterdrückung rechtfertigten."
Heute habe man mit dem gewaltsamen Versuch der Demokratisierung zum Beispiel den Irak ruiniert. Und das schrankenlose wirtschaftsliberale Programm, das demselben Denken entstamme, habe seine Schattenseiten längst gezeigt: große Ungleichheit, Schulden, Arbeitslosigkeit, ökologische Schäden. Schloemann referiert: "Selbstbeschränkung, Mäßigung, Respekt vor lokalen Gegebenheiten, das ist Mishras Utopie, in der die verschiedenen Kulturen vielleicht doch irgendwann zusammenfinden könnten."
Zivilbevölkerung als Geisel der politischen Konfrontation
"Seit Monaten herrscht Krieg im Donbass", schreibt der Historiker Dmytro Tytarenko in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Er lehrt an der Juristischen Hochschule von Donezk und schildert: "Menschen sterben, die Infrastruktur bricht zusammen, Hunderttausende sind auf der Flucht. Man kann streiten, wessen Schuld das ist; doch eines ist unstrittig: Am wenigsten Schuld hat die Zivilbevölkerung, die zur Geisel der politischen Konfrontation wurde. Am allerwenigsten die Kinder, die ihr Leben erst beginnen, und die Alten, die zu gut wissen, was es heißt, im Krieg aufzuwachsen, und die nun zum zweiten Mal in ihrem Leben Zeugen und Opfer eines Krieges werden."
Neu ist ein Zahlungsstopp für Rentner, die in von Separatisten kontrollierten Gebieten wohnen. "Menschen, die viel für ihre Heimat getan haben, bekommen in der Ostukraine ihre Rente nicht. Ihr Staat verlangt, sie müssten das Rebellengebiet verlassen."
Ein anderer Augenzeugeschildert in der Tageszeitung DIE WELT, wie die Krise seine Ukraine verändert hat. Der 1974 geborene Schriftsteller Serhij Zhadan hatte zuletzt mit seinem bei Suhrkamp erschienen Roman "Die Erfindung des Jazz im Donbass" hierzulande Erfolg. Er hält fest:
"Meine Heimatstadt Charkow ist weit im Hinterland, allerdings von dort bis zur russischen Grenze ist es auch nur eine Stunde Fahrt. Die Stadt ist mit den Nationalfarben Gelb und Blau verziert. Aber weiter weg vom Zentrum übermalen die Anhänger des Projekts Neurussland das Gelb und Blau mit Hakenkreuzen. ... Der Krieg ermüdet, der Krieg zermürbt, aber offenbar hat niemand aus dem Krieg etwas gelernt. Männer tragen die Uniformen erstochener Feinde. Soldaten sammeln Spenden in der Unterführung. Und im Dorfladen gibt es jetzt Trauerkränze."