Aus den Feuilletons

Nichts mehr zum Anfassen

04:09 Minuten
Gemälde zweier bunter Hände, die die Handflächen nach oben strecken.
Kultur, Gottesdienste, politische Meinungsfindung - in Zeiten von Corona funktioniert alles ohne Anfassen. © Unsplash / Tim Mossholder
Von Klaus Pokatzky · 20.03.2020
Audio herunterladen
Nähe durch Distanz, so heißt die Faustformel in Corona-Zeiten. Deren Umsetzung muss allerdings eingeübt werden. Genauso wie das neue Leben im Netz. Die Chance auf eine "Sternstunde der Demokratie", schreibt die "Welt".
"Kultur in Zeiten von Corona funktioniert anders." Das lesen wir in der Tageszeitung TAZ und können uns wohl noch gar nicht vorstellen, wie dann die Kultur irgendwann nach den Zeiten von Corona aussehen wird. "Die Kunst geht online", heißt es in der Tageszeitung DIE WELT. "Messen werden abgesagt, Galerien sind geschlossen. Liegt die Zukunft des Kunsthandels in virtuellen Viewing Rooms?"

Leviten lesen

Also fast keine Kunst zum Anfassen mehr bei Wanderungen durch Museen – sondern alles nur noch auf dem Bildschirm des Rechners daheim? "Wegen Corona gibt es zwar keine Konzerte mit Publikum mehr, dafür aber viele Hauskonzerte von hochkarätigen Musikern, die sie auf Social-Media-Kanälen übertragen", steht in der TAZ. "So spielt der Pianist Igor Levitt jeden Abend ein bisschen Beethoven oder Schubert", schreibt Marlene Militz – die am Ende der Coronakrise hoffentlich gelernt hat, dass der wunderbare Pianist Igor Levit sich nicht mit zwei, sondern nur mit einem "t" schreibt.

Das Leben verlagert sich ins Internet

"Wir leben doch derzeit in einem Paradox: Wir müssen unsere Nähe durch Distanz zeigen." Das sagt Christophorus Goedereis. "Deshalb ist es richtig, keinen öffentlichen Gottesdienst zu feiern. Es gibt auch andere Formen der Glaubenspraxis", meint der Kapuzinermönch im Interview mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Die stille Anbetung, das persönliche Gebet, den Rosenkranz, die Psalmen und nicht zuletzt Internet-Gottesdienste."
Wird das Internet in diesen Virenzeiten so wichtig wie noch nie für uns? "In Italien stieg der Konsum von Online-Videotheken", so die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, "um 75 Prozent, in Frankreich um 98 Prozent – und in Spanien um 140 Prozent". So verlagern sich nun auch ganz normale Filmpremieren aus dem Kino in digitale Streamingdienste.

Bewährungsproben für Mensch und Politik

"Die Kanzlerin hat sich deutlich gegen chinesische Lösungen positioniert", sagt Heinz Bude, "und damit eine klare Antwort auf entsprechende Fantasien in deutschen Führungsgruppen gegeben", meint der Soziologe im Interview mit der WELT. Wieweit Bundesregierung und Landesregierungen in der Corona-Zeit kooperieren, werden wir noch sehen. "Es herrscht Vertrauen in Staat und Institutionen", befindet aber schon mal Thomas Schmid. "Die Bürger sind offensichtlich in der Lage, das Dauernörgeln an diesem und jenem vorübergehend einzustellen. Man unterscheidet zwischen Wichtigem und nicht so Wichtigem. Letzteres wird hintangestellt", schreibt er in der WELT. "Wenn es gut ausgeht, war das eine Sternstunde der Demokratie."
Bis dahin werden wir aber noch viele Bewährungsproben zu bestehen haben. "Man schaut aus dem Fenster und erblickt feiernde Jungmenschen und fragt sich, ob die noch ganz bei Trost sind", schildert der Soziologe Heinz Bude im WELT-Interview eine – und vergisst auch die andere nicht: "Es kommt einem das ältere Ehepaar von nebenan entgegen und man schämt sich dafür, dass sie ängstlich einer von zwei Elternpaaren geleiteten Kinderschar ausweichen, die ihnen entgegenkommt."
Wir wollen da lieber versöhnlich schließen und empfehlen ein Schlendern der kulturellen Art. "Ein Digital-Projekt ermöglicht ab sofort einen virtuellen Spaziergang durch das Leipzig des Komponisten Johann Sebastian Bach", teilt uns der Berliner TAGESSPIEGEL mit – zehn Tage vor einem großen Jubiläum am 31. März. "Zu seinem 335. Geburtstag können Interessierte den täglichen Arbeitsweg Bachs online unter jsbach.de nachverfolgen, wie das Bach-Archiv Leipzig mitteilte."
Mehr zum Thema