Aus den Feuilletons

"Nicht jeder Schwelbrand wird zum Inferno"

Der Autor Navid Kermani.
Schriftsteller Navid Kermani: "Erst wenn wir begreifen, dass wir gemeinsam angegriffen werden, gleich ob wir in Mittelfranken oder in Afghanistan leben, können wir uns auch gemeinsam wehren." © Bogenberger Photographie
Von Adelheid Wedel · 06.08.2016
Früher war Europa neugierig, heute plage die Abendländer die "Angst vor Neuem". Das schreibt der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk im "Spiegel". Und sein Kollege Navid Kermani warnt in der "SZ" vor unbegründeter Panik, die "immer auch etwas peinlich" sei.
"Angst und Macht sind siamesische Zwillinge." Ein Satz, über den man eine Weile nachdenken kann. Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk trug diese Überlegung in Salzburg vor, der SPIEGEL der vergangenen Woche hat die Rede abgedruckt, in der er eindringlich vor den Folgen warnte, wenn Angst und Macht sich paaren. Er argumentiert: "Je mehr Angst wir haben, desto größere Feiglinge wählen wir."
Früher sei Europa neugierig gewesen, erinnert sich Stasiuk, heute habe es "Angst vor dem Neuen". Er habe seine Rede unmittelbar nach dem Attentat in Nizza und dem Putsch in Istanbul geschrieben, er spürte dabei "den heißen Atem der Wirklichkeit, der wir nicht entrinnen werden". Wie auch, fragt er. "Wir können uns vor ihr nicht in die Lektüre flüchten, so wenig, wie wir die Grenzen unserer immer ängstlicher werdenden Staaten dicht machen können."
"Wie unser Alltag durch Terror und Amok militarisiert wird", beschreibt Gerhard Matzig eindrücklich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG unter der Überschrift "Krieg der Dinge". Da ist zu lesen: "Weil uns der Terror mit Rucksack, Teppichmesser, Flugzeug und LKW bedroht, werden auch Laternen und Hecken zu Mitteln der Verteidigung." Dabei lernen wir einen neuen Begriff, es geht im Artikel um "terrorsichere Stadtmöblierung, also etwa um Pflanzenkübel in der Fußgängerzone, um Laternenpfähle, Brunnen und Bänke", die auf Terrorsicherheit geprüft werden. Ein Professor für Baustatik an der Hochschule der Bundeswehr wird zitiert: "Wenn Bomben in und vor Gebäuden explodieren, kommt es auch auf deren Materialien und die Bauweise an, ob Menschen verletzt oder getötet werden." Mit Blick für das Maß der Dinge ergänzt er: "Allerdings dürfen wir unsere Städte auch nicht in mittelalterliche Festungen verwandeln, sonst hat der Terror schon gewonnen."
Beruhigend greift der Schriftsteller Navid Kermani in die Diskussion ein. Er appelliert an den menschlichen Verstand, wenn er sagt:
"Allerdings breitet sich nicht jeder Schwelbrand zu einem Inferno aus, und die Beispiele aus der Historie, in denen eine gefährliche Gemengelage nicht zu einer Menschheitskatastrophe geführt, sondern sich wieder aufgelöst hat, dürften weitaus zahlreicher sein – man erinnert sich ihrer nur nicht so gut. Panik, die sich als unbegründet erweist, ist schließlich immer auch etwas peinlich."
Kermani redet die Probleme damit nicht klein, im Gegenteil. Nach der Verunsicherung, den Ängsten, die die Attentate in Nizza, München, Würzburg und Ansbach auslösten, formuliert er eine Art Appell gegen den brandgefährlichen IS: "Erst wenn wir begreifen, dass wir gemeinsam angegriffen werden, gleich ob wir in Mittelfranken oder in Afghanistan leben, können wir uns auch gemeinsam wehren."
Nach den Gründen für Terror zu suchen, ist eines der Hauptthemen in der aktuellen Berichterstattung, immer wieder auch in den Feuilletons. Und so fragt Thomas Thiel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG: "Warum gibt es immer mehr Menschen, die ihr Leben so sehr verachten, dass sie auch das aller anderen zerstören wollen?"
Der Autor versucht eine Antwort zu geben: "Wenn freundliche junge Männer in wenigen Wochen zu blutrünstigen Gotteskriegern werden, treibt sie kein ideologisches Motiv, sondern der Griff nach dem letzten Strohhalm. Sie wollen, dass etwas ist und nicht nichts. (…) Sie wollen Leben vernichten, weil sie merken, dass es ihnen nicht gelungen ist, selbst an ihm teilzunehmen." Nähme man diese Erkenntnis ernst, scheinen Lösungsvarianten für jene Unglücklichen auch auf Erden, und nicht nur im heiß versprochenen himmlischen Paradies, greifbar zu sein.
Die Türkei und der dortige Demokratieverlust erfahren zahlreiche Reflexionen in den Feuilletons der vergangenen Woche. Man sieht schwarz, so auch der Journalist Yavuz Baydar in Folge 17 seines türkischen Tagebuchs in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Er schreibt: "Wenn kein Wunder geschieht oder wir uns der Staatsmacht beugen, werden wir unseren Beruf nicht mehr ausüben können." Er berichtet vom brutalen Vorgehen der Polizei in der Türkei gegen "Unliebsame", von ihren Drohungen selbst gegen Kinder.
Die FRANKGURTER ALLGEMEINE ZEITUNG informiert über verabscheuungswürdiges Verhalten von Polizisten in Bangladesch, die durch ihr Tun den Unrechtsstaat stärken oder durch ihr Nichtstun in dieselbe Richtung arbeiten. So erzählt der Blogger Baki Billah mit Blick auf seinen Kollegen Avijit Roy: "Als er ermordet wurde, standen zwei Polizisten direkt neben ihm. Sie haben sich dem Angreifer nicht in den Weg gestellt, und sie haben ihn auch nicht verfolgt." Da liegt die Schlussfolgerung nahe: "Was haben die Fanatiker", sprich: die Mörder, "denn zu befürchten?"
Hass ist das Bindeglied vom eben erwähnten zum nächsten Artikel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Hier geht es um "frustrierte Deutschtürken und enttäuschte Russlanddeutsche". Tim Neshitov fasst zusammen: "Beide kommen nicht mit dem Land zurecht, in dem sie leben, nostalgisch verklären sie die verlassene Heimat." Bleibt die Frage: "Was eint die russische und die türkische Pegida?" Die knappe Antwort des Autors: "die Sehnsucht nach der jeweils starken Hand". In dieser als Führer-Sehnsucht erkannten Gefühlslage finden wir wohl auch ein Stück Erklärung für den Rummel um Erdogan auf der Demo in Köln.
Erwähnenswert finden wir einen Artikel in der Tageszeitung die TAZ, in dem Silke Burmester mit Blick auf die vielen Journalistenkollegen, die in der Türkei gerade "mundtot gemacht" werden, selbstkritisch feststellt:
"Wir Journalisten in Deutschland schreiben den Sachverhalt auf. Und weiter? Sich engagieren, Halt rufen – das sollen die anderen tun. Selbst wenn es das zu verteidigen gilt, wofür wir stehen: die Pressefreiheit."
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