Aus den Feuilletons

Nein sagen kann die Würde bewahren

Eine Hand auf der "#MeToo" und "#Balancetonporc" ("Schwärz' dein Schwein an")
Die "Welt" spricht ihren Leserinnen im Stil von #metoo #mehrmut zu. © AFP / Bertrand Guay
Von Arno Orzessek  · 08.11.2017
Die "Welt" ruft Frauen zu mehr Mut beim Neinsagen auf. Angesichts der Sexismus-Debatte, die auch unter dem Hashtag #metoo geführt wird, hat der Artikel die passende Überschrift "#mehrmut". Außerdem in den Feuilletons: Internet-Skepsis, 280-Zeichen-Twitter und ein türkisches Auto.
Vor einigen Wochen sind wir mit dem Motorrad durchs nachsommerlich ausgeglühte Ostanatolien gedüst - Ararat, Vansee, Diyarbakir und so weiter. Und nicht selten spielten in den Unterhaltungen mit den freundlichen Menschen dort deutsche Autos eine Rolle.
Deshalb können wir bezeugen: Das Klischee stimmt! Automobile made in germany gelten vielen Türken und Kurden als Nonplusultra der Mobilität. Und irgendetwas daran fuchst den ehrpusseligen Staatspräsidenten Erdogan, obwohl sein eigener Dienstwagen ein Mercedes ist, fette S-Klasse, na klar.
Jedenfalls berichtet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, Erdogan habe sich mit Unternehmern getroffen, um endlich ein original türkisches Auto auf die Straße zu bringen. Die Serienproduktion soll 2021 starten.
"Was für ein Zufall, genau richtig zur Propaganda für das Wahljahr!" - lästert der FAZ-Autor Bülent Mumay.
"Erdogans Propagandamedien [laufen] heiß. Der Chefredakteur einer loyalen Zeitung erklärte: 'Mit dem dritten Flugplatz für Istanbul haben wir Deutschland verärgert. Mit dem Türkei-Auto nehmen wir Hans nun seinen letzten Trumpf!‘ In der regierungsnahen Presse klangen die Schlagzeilen ähnlich: 'Heimisches Auto macht die Deutschen nervös‘, 'Die Deutschen können National-Auto nicht verknusen‘, 'Panik in Deutschland: Seht nur, wie wir es bauen!‘"
So weit die FAZ. Tja, ob das neue Auto wohl 'Osmanobil‘ heißen wird? Oder 'Türkedes‘ ? Und hätten nicht auch 'Mercedogan‘, 'Recep-Royce‘ und 'Maseratatürk‘ einen noblen Klang? Wir werden's erfahren!

"Süddeutsche": Internet ist Projektionsfläche für Real-Ängste

Noch größere Hoffnungen als Erdogan mit seinem Auto haben einst Millionen Menschen mit dem Internet verbunden. Aber man muss sagen: Die Ernüchterung ist erheblich. Deshalb erscheinen jetzt ständig Bücher, die äußerst unfreundlich mit dem Internet umspringen.
Bernd Graf hat viele gelesen und grübelt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, ob die Konjunktur der Internet-Skepsis ein Symptom für etwas ganz anderes sei. Und siehe da! Graf hat eine Idee:
"Die Identifizierung der giftigen Virtualität des schlimmen Netzes und seiner Agenten entlastet [ ... ] von der Aufgabe, die schlimme Realrealität im Hier und Jetzt wirklich angreifen zu müssen. Es mag den Brexit und die Trumpwahl, Fake News und Hackerattacken, Bots und Viren geben, aber mit dem Netz ist die Über-Metapher gefunden, ein die Psyche entlastender Akteur, der benannt und dingfest gemacht und doch nicht gefasst werden kann. Auch wenn man nichts gegen ihn ausrichten kann: Er ist immerhin schuld. Das Netz ist eine grandiose Projektionsfläche für aktuelle Real-Ängste."
Behauptet Bernd Graf - ohne uns zu überzeugen. Allerdings haben wir die Bücher, die ihn zu seiner Projektions-These motivieren, selbst nicht gelesen. Insofern: Okay, vielleicht ist doch was dran!

"Welt" ruft Frauen zu #mehrmut auf

Wo wir beim Digitalen sind: Unter dem Titel "Labern statt Zwitschern" kommentiert der Berliner TAGESSPIEGEL die Erhöhung des Zeichenlimits bei Twitter: "Fest steht: Kein Gedanke wird auch mit 280 Zeichen keiner werden. Die besten Grabinschriften waren immer schon die sehr kurzen. Wenn da 'Warum?‘ steht, fängt sofort die große Grübelei an."
So Felix Hackenbruch und Joachim Huber. Ihr Sprung vom Twitter-Zeichenlimit zur Grabinschrift hinterlässt bei uns übrigens die Frage: Warum?
Anders der Artikel "#mehrmut" in der Tageszeitung DIE WELT. Kathrin Spoerr erklärt angesichts der vielen nachträglichen Missbrauchsberichte zumal unter "#metoo": "Nein ist ein schweres Wort. [ ... ] Frauen, die Nein sagen, gelten als schwierig. Frauen, die Nein sagen, sind unfraulich, zickig oder das Allerschlimmste: emanzipiert. Ein Nein zerstört die Harmonie, aber es rettet die Würde. Wir Frauen tun uns noch immer schwer damit, Nein zu sagen. Stattdessen machen wir mit, und danach verdrängen oder jammern wir."
Ob das so stimmt? Entscheiden Sie selbst, liebe Hörer! Falls Sie wissen wollen, wie uns der Lauf der Dinge generell anmutet, antworten wir Ihnen mit einer Überschrift aus der WELT. Sie lautet: "Abgefahren."