Aus den Feuilletons

Mut zum Risiko!

Das Google-Logo ist durch ein Brillenglas auf einem Bildschirm zu sehen.
Die europäische Politik werde der US-amerikanischen Google-Macht nichts entgegensetzen, ist der Piratenpolitiker Christopher Lauer überzeugt. © dpa / Martin Gerten
Von Burkhard Müller-Ullrich · 22.05.2014
Die Feuilletons spotten über europäische Schwächen. Die "Welt" wünscht sich, dass irgendwann jeder seine eigene Suchmaschine betreiben kann. Die "FAZ" beklagt die Gestalt der EU-Gebäude.
Lange nichts mehr von dem Piratenpolitiker Christopher Lauer gelesen, der in der WELT zutreffend feststellt, dass sich seine Partei derart selbst neutralisiert habe, dass niemand, der zuhören könnte, noch Lust habe zuzuhören. Aber nun teilt er das, was er zu sagen hat, immerhin via Feuilleton mit, und das ist nichts Geringeres als ein Masterplan für die von deutschen Medienkonzernen ausgerufene Schlacht gegen Google.
"Wenn Google Krieg führt", schreibt Lauer, "dann sind andere Medienunternehmen in dieser Logik nicht Zivilbevölkerung, nicht Unternehmen, sondern Staaten. Gegner. In dieser Logik bleibend, haben wir einen Staat, der auf den Rest der Welt mit nuklear bestückten Interkontinentalraketen zielt (Google), und den Rest der Welt, der maximal mit Speeren bewaffnet ist."
Lauer dreht noch stärker auf und zieht den Zweiten Weltkrieg als Modell heran, um klar zumachen, dass man hier nicht auf Verständigung mit Google oder auf irgendeine Form von Regulierung hoffen dürfe, denn die USA – also Google – stünden in einer Tradition, technologische Vormachtstellungen auszubauen, nicht selbst einzuschränken.
"Auf die Politik zu warten", höhnt der Autor, "ist in etwa so, als würde man auf die Uno warten, Kim Jong Un einen ungehaltenen Brief zu schreiben, dass man das mit den Arbeitslagern in Nordkorea eher ungut findet. Hör doch mal bitte auf, Kim Jong Un, sonst schreiben wir dir noch einen bösen Brief."
Die Lösung: Open Source
Was also tun? Was ist die Lauer-Lösung? Zunächst einmal: Sie kostet 500 Millionen Euro und soll von der Bosch-Stiftung, von Springer und allen Interessierten, wer immer das ist, bezahlt werden. Mit diesen Unmengen von Geld sollen intelligente Menschen Open-Source-Suchalgorithmen entwickeln, die
"irgendwann leistungsfähiger als alles sind, was Google anzubieten hat. Suchalgorithmen, die jedem die Möglichkeit geben, seine eigene Suchmaschine zu betreiben."
Der Ruf nach einer europäischen Google-Konkurrenz ist ja nicht gerade neu, aber vielleicht liegt es gar nicht nur am Geld, dass es die nicht gibt? Vielleicht fehlt es in Europa vielmehr an Risikokultur, an Technikbegeisterung, an Aufbruchsstimmung – kurz, an Spirit? Die Europäische Union hat ja in 62 Jahren nicht einmal ein Wahrzeichen geschaffen, wie der Architekturkritiker Dieter Bartetzko in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG frustriert feststellt.
"Wer ein wenig Interesse an Architektur hat, wird im Brüssler EU-Parlament, dem ein Altstadtquartier geopfert wurde, einen an Elephantiasis leidenden Spätling der postmodernen achtziger Jahre erkennen. Seine plump gerundete Gewächshausarchitektur war seinerzeit für Malls und Parkhäuser, Messe- und Sporthallen gang und gäbe. Was nutzt es, dass im Internet die EU ihr Brüssler Parlament mit Europas gotischen Kathedralen und dem Kolosseum vergleicht – der Koloss ist so schnell vergessen wie ein Einkaufsparadies an der Peripherie von Oberhausen."
Architektonischer Gestaltungswille fehlt
Ähnliches gelte, wie Bartetzko darlegt, auch für die Euro-Bauten in Straßburg und Luxemburg: lauter leidenschaftslose, gesichtslose Ebenbilder einer autistischen Bürokratie. Von Gestaltungswille keine Spur, jedenfalls bei der Architektur. An anderen Stellen dafür bekanntlich im Übermaß.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zeigt der Literaturfachmann Thomas Steinfeld zur Abwechslung, was er wirtschaftswissenschaftlich drauf hat. Unter dem Titel "So viel Geld" spürt der der "Poesie der gegenwärtigen Finanzströme" oder – ebenfalls in seinen Worten – der "Haltlosigkeit des sich herumtreibenden Kapitals nach. Ausgehend von einem angekündigten Milliardendeal der Firma Apple fragt sich Steinfeld, was da eigentlich gekauft werden soll, und schreibt:
"Es ist so unendlich viel Kapital da, dass es dazu übergeht, eine Kapriole nach der anderen zu schlagen, ohne dass man wüsste, wo die Vernunft aufhört und die Kapriole beginnt."
Klingt nicht gerade erleuchtet. Und vielleicht ist es die von der eigenen Ahnungslosigkeit getriebene Nervosität, die Steinfeld zum Schluss auch noch Kriegsdrohungen ausstoßen lässt. Denn Krieg, das weiß man sogar, ohne Volkswirtschaft studiert zu haben, vernichtet Kapital in großem Maßstab.
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