Aus den Feuilletons

Mit Wein in den Abgrund

04:22 Minuten
Weinreben mit gelben Blättern und dunklen Trauben.
Das Weinbaugebiet Ahr ist eins der größten Rotweinanbaugebiete in Deutschland. © imago images/Manngold
Von Arno Orzessek · 12.12.2019
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Die "taz" schreibt über den Klimawandel sowie den "Point of no Return" und fragt: "Wenn die Welt schon untergeht, dann trinken wir im Grand Hotel Abgrund wenigstens guten Wein?" Denn durch die warmen Sommer gäbe es nun mehrere Spitzenjahrgänge.
"Wenigstens der Wein wird besser", titelt die TAGESZEITUNG im Rahmen der Serie "2050 – die überleben wollen".
Den Artikeln steht jeweils ein Prolog voran, in dem es heißt: "Um die Mitte des Jahrhunderts ist Schluss, Planet und Menschheit haben den Point of no Return erreicht, eine unbewohnbare Erde führt zum Zusammenbruch von Zivilisation und internationaler Ordnung – wenn wir nicht radikal umsteuern."
Es ist übrigens nicht die TAZ selbst, die schon für 2050 derart zappenduster sieht. Den Untergang so fest terminiert hat im letzten Jahr der australische Thinktank Breakthrough. Aber kommen wir zum Wein. "Das erste, extrem heiße Jahr für die deutschen Winzer war 2003. Damals waren die Winzer noch schlecht vorbereitet und die Folge war zu viel Alkohol in den Weinen. Doch mittlerweile haben sie gelernt, mit dem neuen Klima umzugehen. Die Folge ist ein Spitzenjahrgang nach dem nächsten."
Das süffige Thema passt irgendwie nur bedingt zu der apokalyptischen TAZ-Serie. Vielleicht auch deshalb fragt Jan Stich: "Also eitel Sonnenschein im Weinland Deutschland? Wenn die Welt schon untergeht, dann trinken wir im Grand Hotel Abgrund wenigstens guten Wein? Ganz so einfach ist es nicht, denn das Klima bringt auch neue Gefahren: Sonnenbrand kann die Trauben kleiner als Rosinen schrumpfen lassen und die Wärme gefällt auch Schädlingen gut."
Schrumpfende Weintrauben also. Echt blöd, dass sie nicht unser größtes Problem im Klimawandel sind! Aber ob’s wirklich nur 30 Jahre bis ultimo sind? Lassen wir das offen, blicken wir 43.900 Jahre zurück.

Felsmalereien zeigen Mischwesen

So alt sind die Felsmalereien, die 2017 auf der indonesischen Insel Sulawesi entdeckt wurden. Das haben nun Wissenschaftler der australischen Griffith-Universität herausgefunden und in der Fachzeitschrift "Nature" publiziert, wie die Tageszeitung DIE WELT unter dem Titel "Homo fantasticus" berichtet.
Sie dokumentiert die Felsmalereien per Übersichtsfoto und Detail-Aufnahmen, so dass man die sechs winzigen Jäger erkennt, die sich einem Anoa, einem wilden Rind, entgegenstellen. "Die Autoren des 'Nature'-Beitrags haben diese Winzlinge als sogenannte Theriantropen erkannt, als Mischwesen aus Mensch und Tier, von denen Religion und Mythos viele kennen, vom ägyptischen Gott Ra bis zum postmodernen Sternenkrieger Chewbacca. Die Hybridwesen an der Wand könnten teils Mensch, teils Krokodil, teils Anoa und teils Vogel sein."
Und dann bricht aus dem WELT-Autor Wieland Freund die reine Freude aus: "Auf Sulawesi wurde also nicht nur das bis auf Weiteres älteste erhaltene menschliche Gemälde geschaffen, sondern ganz sicher auch die bis auf Weiteres älteste Geschichte der Menschheit erzählt. Und dass diese Geschichte keine realistische, sondern mit einiger Wahrscheinlichkeit eine fantastische Geschichte ist, das ist vielleicht die aufregendste Nachricht von allen. Homo sei sapiens, Homo sei faber, Homo sei ludens, hat es schon geheißen. Vor allem aber war der Mensch wohl von Beginn an ein Fantast."
So Wieland Freund.

Raffaels Madonnen kommen nach Berlin

"Die große Verzückung" ergreift – laut Überschrift – den Berliner TAGESSPIEGEL. Und zwar angesichts der Madonnen Raffaels, die in der Berliner Gemäldegalerie zum Auftakt des Jubiläumsjahrs ausgestellt werden – im April jährt sich der 500. Todestag des Malers. Nicola Kuhn erläutert, warum nicht Leonardo da Vinci, sondern eben Raffael "göttlich" genannt wurde:
"Die Ergriffenheit, die den damaligen Betrachter vor seinen Madonnen erfasste, das ästhetische Entzücken, kollidierte keineswegs mit religiösen Gefühlen. Vielmehr galt seine Begabung als Zeichen besonderer Nähe zu Gott. Aus heutiger Sicht wird vor allem das Kunst-, nicht das Kultbild wahrgenommen, ansonsten müsste man vor Erschütterung in die Knie gehen. Auch ohne Metaphysik bringen die sechs Madonnen den kleinen Saal zum Vibrieren."
Ende der Menschheit, Anfang der Kunst und Raffael – dabei belassen wir es für heute. Und falls Ihnen das Programm nicht anspruchsvoll genug war, entgegen wir: Man kann doch auch mal mit einer Überschrift der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG "Den Verstand schonen".
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