Aus den Feuilletons

Mit Futur II am Rande des Abgrunds

Der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
Der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Hans von Trotha · 02.07.2018
Verschwurbelte Sprache kann zu einer Staatskrise führen. Das demonstrieren Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer beim Streit im Umgang mit Flüchtlingen an den Grenzen. Mit Seehofers "Wir" hadert Anne Haeming von der "taz".
Anne Haeming ruft in der taz laut und fett: "Aaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhh!".
Geschrieben wird das mit fünfzehn A´s, acht H´s und einem Ausrufezeichen. "Es ist so weit", schiebt Haeming hinterher, "ich verstehe die AfD-Wähler und die Pegida-Anhänger und die Hass-Trolle im Internet. Ihr Brüllen, ihr Um-sich-Schlagen. Denn seit ein paar Tagen möchte ich nur noch dasselbe machen: brüllen, schreien. Und immer weiterbrüllen. … Weil ich", schreibt Haeming, "es endlich kenne, das Gefühl: Das ist nicht mein Land, von dem da die Rede ist. Weil Menschen eine Definition von Deutschland und seiner Bevölkerung, von einem Wir, einem Uns festlegen, mit der ich", so Haeming, "nicht mitgemeint bin."

Tempus Seehofer

Der Mann, der der taz-Autorin dieses Erlebnis vor allem beschert hat, ist eben jener Mann, von dem wir niemals wissen werden, wann er zurückgetreten sein wird. Das ist Futur II und kommt sonst nur ganz selten vor im Leben, im politischen schon gar. Aber einem Horst Seehofer reicht in Stoßzeiten keine übliche deutsche, nicht einmal die bayerische Grammatik, um seine irgendwann bestimmt zukünftig gewesen seienden Gedanken aufs Papier beziehungsweise in ein Mikrofon zu bringen. Seehofer spricht eben Seehofer. Und das beschäftigt die Feuilletons.

Missverständnis durch einen missglückten Sprechakt

So erklärt uns Lothar Müller in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG unter der feuilletonwürdigen Überschrift "Das Endspiel verstehen", dass Seehofer, sauber sprachwissenschaftlich argumentiert, in einem, so Müller, "missglückten Sprechakt", schon in der Nacht von Sonntag auf Montag zurückgetreten ist – wobei Seehofer, halt echt ein Teufelskerl, wenn´s um Worte geht, es hinbekommen hat, dass die richtige Formulierung gewesen wäre, dass er in der Nacht auf Montag zurückgetreten sein wird … Schon Wahnsinn, der Mann.

Ein anderes Wir-Gefühl

Und ausgerechnet der - jetzt sind wir wieder bei Anne Haeming und der taz - "meint, (der Begriff) 'Heimat' sei politisch steuerbar. Wenn er so tut, als sei zu befürchten, 'wir' müssten 'unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche' aufgeben" – dann, da hat Haeming schon recht, sollte man mal nachfragen, wer mit diesem Wort "Wir" eigentlich gemeint ist. Sie zumindest nicht mehr. "Die Sprache jener", schreibt sie, "die für die Bevölkerung, also dieses 'Wir', spricht, ist voller brutaler Euphemismen der Morallosigkeit … Wenn", resümiert sie, "diese meinungsbildenden Politiker*innen und Redaktionen sagen: Das ist unser Land, so ist unser Land, dann ist meine einzige Reaktion: Stopp, halt, nein! Ich bin nicht Teil von "den Menschen", von eurem "Wir". Sprecht nicht für mich, verdammte Axt! Und prüft mal eure Statistiken! … Und", setzt sie noch nach, "Grenzöffnung – my ass! Wie könnt ihr dieses Wort in den Mund nehmen, wenn ihr vom Schengenraum sprecht? … Hört ihr euch eigentlich selbst reden?!"

Verwirrung durch Sprache

Tja Leute. Die Sprache ist´s. Das haben diese Tage klar gemacht. Horst Seehofer steht für den Linguistic Turn der deutschen Politik. Nicht zufällig hebt Michael Hanfeld das Ganze in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEIGUNG auf die philosophische Ebene; "Sagen, was nicht ist."
Die "Tagesthemen, Seehofer und das Als-ob" heißt sein Beitrag, in dem er die sprachlichen Verwirrungen nachzuzeichnen versucht, die Seehofer, echt Seehofer gesprochen habend, in Fernsehnachrichtenredaktionen zu erzeugen in der Lage gewesen ist.
Hanfelds Fazit: "Die CSU kann einen schon verwirren. Oder besser gesagt: Horst Seehofer."
Und dazu muss er nicht einmal versucht gehabt haben zurückzutreten. Vorher schon hat er Worte gebraucht, die erst einmal nur er verstand.

Was "wirkungsgleich" ist

Matthias Heine geht in der WELT dem Umstand nach, dass "die Frage, was 'wirkungsgleich' bedeutet zu einem Kernkonflikt der Koalitionskrise" hatte werden können. "Damit", so Heine, "hat ein Wort, das vor wenigen Tagen noch kaum jemand kannte und gebrauchte, eine erstaunliche Karriere gemacht. Der früheste Beleg", weiß Heine, "stammt aus dem im Jahre 1967 erschienenen Buch des ostdeutschen Psychologen Reiner Werner namens 'Das verhaltensgestörte Kind'." Allerdings: "Die frühesten Belege in den Zeitungen Mitte der Neunzigerjahre stehen alle im Zusammenhang mit Reformen des Gesundheitswesens, die Seehofer in seiner Amtszeit (als Bundesgesundheitsminister) 1992 bis 1998 anschob. Damals wurde erstmals vorgeschrieben, dass Ärzte, wenn mehrere Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff zur Auswahl stünden, das billigste verordnen sollten … Horst Seehofer", meint Heine, "verrät sich damit als Vertreter jener Kaste, als deren Gegenüber er sich so gerne inszeniert."
Und die ihm stets zu danken haben wird, dass er im Versuch, sich selbst zu verstehen, ihr eines beigebracht haben wird: den ordentlichen Gebrauch des Futur II.
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