Aus den Feuilletons

"Mit diesem Bauwerk beginnt eine neue Epoche"

Elbphilharmonie
Die Elbphilharmonie am Tag der Eröffnung in der Hamburger Hafencity. © imago/Jochen Tack
Von Arno Orzessek · 05.11.2016
Einhelligen Jubel hat in dieser Woche die Fertigstellung der Hamburger Elbphilharmonie ausgelöst. Die "Süddeutsche Zeitung" schwärmt von einem "gigantischen Kulturmonument". Die "Zeit" sieht in dem 800-Millionen-Bau gar eine Zeitenwende anbrechen.
Unerreicht schäbig, niveaulos, eine große Schande: Das ist nach Meinung vieler Menschen in der westlichen Welt der Wahlkampf in den USA...
Und gerade darum, so berichtete die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, zeigt sich die chinesische Regierung vom Duell Hillary Clinton versus Donald Trump hellauf begeistert.
"Neuer deutscher Exportschlager für den chinesischen Markt gesucht? Wie wär’s mit dem anderswo schon beliebten deutschen Wort 'Schadenfreude'? Nichts beschreibt die Stimmung in den oberen Rängen der Kommunistischen Partei im Moment wohl besser. Wer auch immer am Dienstag die Wahl in den USA gewinnt, einen selbsterklären Sieger haben wir jetzt schon: Chinas KP",
behauptete der SZ-Autor Kai Strittmatter und fügte einige Belege an:
"Die Volkszeitung hatte besondere Freude dabei, das Ende des politischen Moralpredigers USA zu verkünden, der der Welt sein System jahrzehntelang als überlegen angepriesen hatte: (Sie meinte:) 'Zeit, dass dieser 'Demokratie-Missionar' sein übertriebenes Selbstwertgefühl und seine Arroganz ablegt'. Auf dem Mikro-Blogging-Dienst Weibo liest man Zehntausende solcher Kommentare (von denen allerdings keiner weiß, wie viel davon KP-Auftragsarbeiten sind): 'Wenn die US-Wahlen eines beweisen, dann das: Chinas Einparteien-Herrschaft ist gut für das Land.'"

Clinton ist "eine Göttin an Klarheit und Charme"

Und welcher Präsident, welche Präsidentin wäre am wenigsten schlecht für die USA?
Für Peter Schneider keine Frage. Der Schriftsteller behauptete in der Tageszeitung DIE WELT, Clinton sei "im Vergleich zu Trump eine Göttin an Klarheit und Charme".
Allerdings unterstellte Schneider, dass Trump auf Charme und ähnliche Vorzüge pfeifen kann, weil er – gerade umgekehrt – von der Abwesenheit positiver Eigenschaften profitiert.
"Trump hat sich (…) nicht etwa trotz, sondern wegen seiner zahllosen Blamagen und Fehlleistungen, seinen Beleidigungen von Frauen, Mexikanern und Muslimen durchgesetzt. Denn all diese Entgleisungen haben (…) ihm den – in den Augen seiner Klientel – höchsten Titel eingebracht: ein unerschrockener Kämpfer zu sein. (…) Falls Donald Trump die Wahl gewinnen sollte, dann gerade wegen seiner Inkompetenz."
Als "Inhaltszerstörungsmaschine" bezeichnete die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG den US-Wahlkampf… und Dietmar Dath fühlte sich an finstere Zeiten erinnert:
"Der Faschismus, schrieb Walter Benjamin, breche mit den bürgerlichen wie den sozialistischen Idealen und verhelfe den Menschen zu ihrem Ausdruck statt zu ihrem Recht. (…) Obwohl etwa Trump weder Hitler noch Mussolini ist (…), kann man den Leuten auch ohne voll entwickelten Faschismus zu ihrem Ausdruck statt zu ihrem Recht verhelfen. Mit Menschen, die so weit entpolitisiert sind, dass ihnen das gefällt und reicht, lässt sich keine Demokratie machen",
schimpfte der FAZ-Autor Dath.

Einhelligen Jubel löste unterdessen die Fertigstellung der Hamburger Elbphilharmonie aus, entworfen von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron.
Elbphilharmonie
Der Große Saal in der Elbphilharmonie in Hamburg© picture alliance/dpa/Foto: Christian Charisius
In der SZ schwärmte Gottfried Knapp:
"Es gibt überhaupt nur ein einziges Bauwerk auf der Erde, das in seiner stadträumlichen Präsenz mit der Elbphilharmonie verglichen werden kann: Die Oper von Sydney, das gigantische Kulturmonument des Dänen Jørn Utzon."
Falls sich ein derart grelles Lob überhaupt noch in den Schatten stellen lässt, dann gelang das Roman Hollenstein in der der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
"Bei der Elbphilharmonie handelt es sich um den ersten überragenden Bau des neuen Jahrtausends."
Die Wochenzeitung DIE ZEIT ließ per Überschrift "Wellen der Zuversicht" durch ihr Feuilleton schwappen und konstatierte: "Mit diesem Bauwerk beginnt eine neue Epoche."
"Berg und Meer (so Hanno Rauterberg) sind hier keine aufgeklebten Metaphern, sie lassen sich räumlich erfahren: als natürliche Kultur, als kulturelle Natürlichkeit und in jedem Fall als ein Gegensatz, der abermals verschwimmt. Konnte man der Klassischen Moderne noch vorwerfen, sie habe alles Geheimnisvolle vertrieben, ihre Architektur sei entzaubert, kehrt in der Elbphilharmonie ein Moment der Verwunschenheit zurück. Und damit weist sie über ihre Zeit hinaus."
Wir verabschieden hier schon mal alle Zuhörer, die sich nach dieser Lobes-Symphonie sofort auf den Weg nach Hamburg machen…

"Lasst uns froh und Luther sein"

Und kümmern uns mit den Verbleibenden um das Reformationsjubiläum.
Unter der hämischen Überschrift "Lasst uns froh und Luther sein" unterstellte Jürgen Kaube in der FAZ, die evangelische Kirche mache das Jubiläum zu einem "Fest des Banalen" – und machte seinerseits die Kirche mit Lust lächerlich.
"'Eins kann mir keiner nehmen', setzte eine evangelische Fernsehpredigt kürzlich ein, ´die pure Lust am Leben… So hat Gott, der Ich-BINDA, dich und mich gemeint. Das ist so schön zu spüren.' (…) Nicht der alberne Ton solcher Einlassungen, ihre Grammatik und unfreiwillige Komik sind das Ärgernis. Es ist vielmehr die Dreistigkeit, mit der Leute solcher Gesinnung (…) Ansprüche auf eine Tradition erheben, die sie mit Luther beginnen lassen. Mit Luther, der gelehrt hat, wie sehr Verzweiflung, Sorge und Elend die Existenz bestimmen. (…) Der keine sündenfreien Handlungen kannte und keine Rettung durch Liebsein."
Tja, lieb war es gewiss nicht, wie Jürgen Kaube über die Evangelische Kirche und ihre Neigung zu bonbonfarbigen Botschaften herfuhr.
Andererseits zeigte er dabei Eigenschaften, die laut WELT-Autor Tilmann Krause absolut typisch für Lutheraner sind:
"Christen lutherischen Glaubens nehmen sich die Freiheit zu sagen, was ist. Sie sichern sich nicht ständig ab, ob das, was sie sagen, auch zeitgeistkonform ist."
Küren wir zum Schluss die Überschrift der Woche. Unsere Wahl fällt auf ein putziges Buchstaben-Kleinod in der WELT. Es lautete:
"Der rote Faden macht niemals blau."
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