Aus den Feuilletons

Merkels Schreibtisch und andere Auffälligkeiten

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt am 24. November 2005 an ihrem Schreibtisch im Bundeskanzleramt.
So sah Angela Merkels Schreibtisch vor fast zehn Jahren aus: Heute soll auf ihm ein Porträt der russischen Zarin Katharina II. stehen. © picture-alliance/ dpa/dpaweb
Von Klaus Pokatzky · 31.05.2014
Während sich der "Spiegel" mit Angela Merkels Arbeitsplatz im Bundeskanzleramt beschäftigt, warnt Jürgen Habermas in der "SZ" Deutschland vor dem Rückfall in alte Muster.
"Ich wünschte, meine Schreibgewohnheiten wären etwas regelmäßiger." Ich auch. "Ich stehe morgens auf", war in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu lesen, "gehe in mein Büro und schreibe". Ich mache das lieber abends. "Und dann zerreiße ich alles." Ich nicht; sonst kommt ja kein Blick in die Feuilletons zustande.
Auf jeden Fall führt uns dieses Zitat des großen amerikanischen Literaten Arthur Miller zur guten Nachricht der Woche: Das gedruckte Buch ist wieder im Vormarsch gegen die schreckliche digitale Lesemaschine. "Während im letzten Jahr noch 46 Prozent der befragten E-Book-Käufer angaben, Romane lieber digital als gedruckt zu lesen", stand ebenfalls in der SÜDDEUTSCHEN, "sind es mittlerweile nur noch 33 Prozent." Das hat jedenfalls eine Studie des Börsenvereins des deutschen Buchhandels herausgefunden.
"Shakespeare war ein schwarzes Mädchen", so zitierte die Tageszeitung TAZ Maya Angelou; die "kämpferische Optimistin", wie die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG Maya Angelou nennt, die Meisterin des gedruckten und des gesprochenen Wortes, die im Alter von 86 Jahren gestorben war. "Die Frau war über die Jahre zu einer moralischen Instanz mit großem Einfluss geworden, der bis in die Präsidentschaftswahlen reichte", schrieb Peter Richter in der SÜDDEUTSCHEN. Geboren 1928 in St. Louis im tief rassistischen Süden der USA, "als Scheidungskind zur Großmutter in die Baumwoll-Ödnis von Arkansas verklappt, vergewaltigt vom Freund der Mutter, der daraufhin totgeschlagen wird, gegängelt und gedemütigt von den diskriminierenden Gesetzen der Rassentrennung".
"Lange Schatten einer Geschichte"
Ihr Geburtsname war Marguerite, in der Familie verkürzt zu Maya. In gleich sieben Autobiografien hat sie ihr Leben beschrieben. "Straßenbahnfahrerin in San Francisco und mit 16 schon Mutter eines Jungen, den sie als Tänzerin, als Köchin, als Automechaniker-Gehilfin und, nach einem Versuch als Prostituierte auch als 'Madam', also als Puffmutter, irgendwie durchzubringen gewillt ist."
Sängerin und Tänzerin wurde sie schließlich und Professorin und schrieb Kinderbücher. Zur Amtseinführung von Präsident Bill Clinton durfte sie 1993 eines ihrer Gedichte vortragen und der jetzige Präsident Barack Obama verkündete in seinem offiziellen Trauerstatement, dass seine Schwester nach dieser Maya ihren Namen bekam; nach dieser Frau, die, so Peter Richter, geschrieben hat: "in erster Linie von Politik und von den langen Schatten einer Geschichte, die schwarzen Amerikanern das Leben schwerer macht als Weißen, und schwarzen Frauen noch einmal mehr." Ein wahres Vorbild – auch für unsere Politikerinnen.
Maya Angelou gehört auf den Schreibtisch von Angela Merkel. Doch wer steht da? "Auf dem Schreibtisch von Angela Merkel steht in einem Silberrahmen ein Porträt der russischen Zarin Katharina II.", erfahren wir aus dem neuen SPIEGEL.
"Der Griff in die russische Geschichte erweckt Gespenster der Vergangenheit", rügt das Hamburger Magazin und zählt die expansionistischen Gelüste der geborenen Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst auf: "So hielt sich Katharina (1729 bis 1796) für befugt, in Polen nach dem Rechten zu sehen, dieses alte Bollwerk des Westens gegen den Osten zu liquidieren und Polen zu teilen. Das entspricht in beunruhigend genauer Analogie den Absichten Putins in der Ukraine." Dass ihr als Erbe auch die Herrschaft Jever bei Oldenburg zufiel und dann bis 1818 russisch war, wollen wir hier nicht weiter vertiefen – sonst kommt Putin noch auf ganz dumme Gedanken.
Unterwürfigkeit gegenüber akademischen Titeln
"Herr Professor", beginnt der SPIEGEL mal wieder ein Interview mit einem Professor in gewohnter Unterwürfigkeit gegenüber akademischen Titeln: "Herr Professor, sind Sie zur Europawahl gegangen?"
Der Hamburger Erziehungswissenschaftler und Psychoanalytiker Karl-Josef Pazzini ist selbstverständlich zur Europawahl gegangen: "Ich bin ein Pflichtmensch", sagt er – und dann spricht er uns Monarchisten aus tiefstem Herzen, wenn er feststellt, dass es Demokratieformen gibt, "die dem Menschen gemäßer sind als die unsere. Die europäischen Königshäuser zum Beispiel schaffen Identifikation, vor allem die Engländer sind da zu beneiden: die älteste moderne Demokratie."
Und dann eben Pomp and Circumstance. "Mama und Papa, zu denen man aufsehen kann. Natürlich wird das von den meisten mit Ironie betrachtet, aber es stiftet eben auch Gemeinsamkeit. Parlament und Königshaus bedienen moderne und archaische Muster, erwachsene und kindliche Bedürfnisse."
Nun sind bekanntlich alle europäischen Königshäuser außer dem spanischen und dem schwedischen deutsche Dynastien – und sowieso stellt sich die Frage: welche Rolle soll Deutschland spielen in diesem Europa und nach dieser Wahl? "Wir müssen aufhören, eine hochgefährliche halbhegemoniale Stellung, in die die Bundesrepublik wieder hineingerutscht ist, in alter deutscher Manier rücksichtslos auszuspielen", sagte im Interview mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG der Philosoph Jürgen Habermas.
"Deutschland, das einst als Sorgenkind des modernen Europas galt, stellt heute ein mögliches Prinzip Hoffnung dar", findet hingegen Habermas' italienischer Philosophenkollege Angelo Bolaffi in der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Es hat sich herausgestellt, dass das Modell Deutschland den Herausforderungen des globalen Marktes sehr viel besser gewachsen ist als die mediterranen Länder mit ihrem anarchischen, konfliktbehafteten Modell oder die angelsächsischen Länder mit ihrem liberalen Manchester-Kapitalismus." Über den ist unsere Queen übrigens auch nicht amused.