Aus den Feuilletons

"Mein Geschöpf musst du seyn"

Ein Dichter, zwei Lieben: Henriette Confurius (l.) als Charlotte Lengefeld, Florian Stetter als Friedrich Schiller und Hannah Herzsprung als Caroline von Beulwitz in einem Still aus dem Film "Die geliebten Schwestern" von Dominik Graf.
Ein Dichter, zwei Lieben: Henriette Confurius (l.) als Charlotte Lengefeld, Florian Stetter als Friedrich Schiller und Hannah Herzsprung als Caroline von Beulwitz in einem Still aus dem Film "Die geliebten Schwestern" von Dominik Graf. © picture alliance / dpa
Von Tobias Wenzel · 02.08.2014
Die "Welt" freut sich über den gelungenen "Brieffilm" von Graf über Schiller, die "Berliner Zeitung" mutmaßt, dass Castorf in den Bayreuther Buhrufen badet, und die "FAZ" steht bei den Salzburger Festspielen kurz vor dem Herzinfarkt.
"Och, sind die süüüß!“, dachte man für den Bruchteil einer Sekunde beim Blick auf die Fotos zum Feuilleton-Aufmacher der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom Samstag. Bis man genauer hinsah und den Artikel von Stefan Buchen und Marie Delhaes las:
"Ein rötliches Kätzchen tätschelt den Lauf eines Maschinengewehrs. Ein Weißes spielt auf der Seite liegend mit einer Handgranate. Ein Schwarz-Weißes hält eine Pistole zwischen beiden Vorderpfoten.“
Eine neue Mode: Islamistische Kämpfer posieren in Syrien und im Irak mit kuscheligen Kätzchen und veröffentlichen Fotos und Videos davon im Internet.
Hass, Krieg, Tote (darunter der Schauspieler Louis de Funès, der einhundert geworden wäre) hatten die Feuilletons dieser Woche fest im Griff und tauchten selbst dort auf, wo man sie nun wirklich nicht erwartet hatte: zum Beispiel im Interview mit Lemmy Kilmister, dem Anführer der Heavy-Metal-Band Motörhead.
"Wozu braucht ein Mensch die Haarbürste von Eva Braun, der Geliebten Adolf Hitlers?“,
… fragte der SPIEGEL und spielte damit auf Kilmisters Sammlung zum "Dritten Reich“ an. Die Antwort:
"Ich besitze neben der Haarbürste auch ein Feuerzeug mit ihren Initialen EB und einen Reiseaschenbecher von ihr. Was seltsam ist, Hitler hasste Raucher.“
Juden auf gepackten Koffern
"Der Hass zeigt seine Fratze“ titelte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zum Ausbruch des Antisemitismus in Frankreich und Deutschland. Rufe wie "Jude, Jude, feiges Schwein“ ließen schlimme Erinnerungen wach werden, schrieb Joachim Güntner, um dann zu differenzieren:
"Anders als in Frankreich sitzt in Deutschland wohl kein Jude wegen der jüngsten Ereignisse auf gepackten Koffern.“
Die jüdische Minderheit habe heute in Deutschland, im Gegensatz zu 1938, "Politik und Rechtsstaat fest auf ihrer Seite“. Allerdings hätten sich gefährliche "obskure Allianzen“ aus Linken, Menschen mit Migrationshintergrund und klassischen Rechtsradikalen gebildet.
"Seit Wochen herrscht in Israel die Angst davor, sich als Linker oder Linke zu bekennen“, schrieb Alexandra Belopolsky in der FAZ, allerdings über Linke, die gar nichts mit Rechtsradikalen gemein haben, sondern einfach nur für den Frieden im Nahen Osten demonstrieren. Einige von ihnen seien in Haifa und Tel Aviv zusammengeschlagen worden:
"Einem Verletzten wurde in den Krankenwagen noch 'Jude oder Araber?' nachgerufen.“
Waffen in Schulen und Moscheen
"Wir sehen eine zerstörte Moschee, ein umgestürztes Minarett – und natürlich ist das Entsetzen, dass ein Gotteshaus zerbombt wurde, die beinahe automatische Reaktion, auch bei uns“,
… schreibt der ARD-Korrespondent in Israel, Richard C. Schneider, in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNNTAGSZEITUNG über den Krieg in Gaza. "Doch dann müssen wir uns fragen: Waren in der Moschee Waffen gelagert oder nicht? Wir wissen, dass in Moscheen Waffen gelagert werden, es gibt Belege.“
Einem ähnlichen Dilemma sehe er sich als Berichterstatter und Mensch ausgesetzt, wenn nun auch Schulen in Gaza angegriffen würden, in denen vermutlich oder nachweislich Waffen der Hamas lägen.
Alles andere als Frieden auch bei den Festspielen. In Bayreuth hat Frank Castorf schon vor seiner Wiederaufnahme des "Rings“ mit dem Säbel in Richtung Festspielleitung gerasselt. Aber dann war plötzlich Friede, Freude, Eierkuchen. Mirko Weber von der BERLINER ZEITUNG war positiv beeindruckt, wenn auch teils "überfordert“ von dieser Wiederaufnahme. Wie schon im letzten Jahr buhte das Publikum Castorf, dem das angeblich gefällt, wieder fleißig aus.
Und in Salzburg? Anna Prohaska sang Soldatenlieder, "festspielwürdig“, frohlockte Manuel Brug in der WELT. Gerhard Stadelmaier von der FAZ stand dagegen gleich mehrfach bei den Salzburger Festspielen kurz vor dem Herzinfarkt. So wütend war er über drei Inszenierungen zum 1. Weltkrieg. Georg Schmiedleitners Version der "Letzten Tage der Menschheit“ war für Stadelmaier nur ein "österreichelndes Gemenschele“, in Duncan Macmillans und Katie Mitchells "The Forbidden Zone“ sah er einen "dümmlichen Video-Abend“ mit "Edelkitsch“, und der junge serbische Regisseur Milos Lolic, der Ernst Tollers "Hinkemann“ inszeniert hat, ist für Stadelmaier politisch gesehen "ein ziemlich altbackener Trottel“ und künstlerisch "ein harmloser Hallodri“:
"Wenn der Erste Weltkrieg so süß gewesen sein soll, hätte man ihn gar nicht zu beginnen brauchen.“
Dem anderen an die Wäsche wollen
"Keine Rache, keine Revolution, keine bürgerliche Aufklärung“ sah die merklich schockierte Christine Lemke-Matwey in Sven-Eric Bechtolfs Neuinszenierung von Mozarts "Don Giovanni“, dafür ausschließlich "das Lustprinzip, das über Leichen geht“. In der ZEIT schrieb sie:
"Dass die einen den anderen an die Wäsche wollen, Männer den Frauen, Privilegierte den Nichtprivilegierten, scheint der Menschheit, tz tz tz, nun einmal nicht auszutreiben zu sein.“
Wie man gleich zwei Frauen erfolgreich an die Wäsche geht, wusste Friedrich Schiller nur zu gut. Liebte er doch die Schwestern Caroline und Charlotte. Dirk Peitz von der WELT gefiel Dominik Grafs Kinofilm "Die geliebten Schwestern“, dieser "Brieffilm“, wie er ihn nannte, außerordentlich. Einen der im Film verlesenen Briefe zitierte der Kritiker. Schiller schrieb am 15. November 1789 an seine zukünftige Ehefrau Charlotte, allerdings, so Peitz, "mit der vollen Absicht, dass seine baldige Schwägerin Caroline die Zeilen ebenfalls lese“:
"Caroline ist mir näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unserer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht als du meine Lotte – aber ich wünschte nicht um alles, dass dieses anders wäre, dass du anders wärest als du bist. Was Caroline vor dir voraus hat, musst du von mir empfangen; deine Seele muss sich in meiner Liebe entfalten, und mein Geschöpf musst du seyn, deine Blüthe muss in den Frühling meiner Liebe fallen.“