Aus den Feuilletons

Mann liest zu wenig vor

Ein Vater liest mit seinen zwei Kindern auf dem Schoß in einem Buch. Hinter ihnen steht der Weihnachtsbaum.
Wenn der Vater nicht vorliest, liest der Sohn auch nicht. © imago/Mint Images
Von Hans von Trotha · 29.10.2018
An der Hardware mangelt's nicht, aber an den Vorbildern. Dass Männer ihren Söhnen nicht vorlesen, sei der Grund dafür, dass der männliche Nachwuchs sich beim Lesenlernen schwer tue, meint die Welt. Die FAZ bringt eine Eloge auf Angela Merkel.
In der NZZ jagt uns Felix Simon "Mit neuen Aposteln durch den Cyberspace": "Wie stichhaltig sind eigentlich die düsteren Zukunftsvisionen der sogenannten Experten?", fragt er und meint ausdrücklich nicht die heimische Politik, sondern den Medienmarkt für Cyberattacken. "Sie haben", so Simon, "oft bedrohliche Titel, die Bücher der neuen Technik-Apostel." Sie künden von einem Neuen Dunklen Zeitalter, das über uns hereinbreche, oder sprechen vom Tod der Götter. Die "Politik der Zukunft heißt auch eins.
Wer müsste bei diesen Titeln nicht unwillkürlich an Angela Merkel denken?

Merkel - anders als alle anderen

Für Jürgen Kaube ist sie "Anders als alle anderen". Er widmet ihr in der FAZ eine der ersten Elogen zu ihrer Art des politischen Rückzugs, von der er meint, dass er "der Würde von Amt und Person hoch angemessen war. Er hatte, das darf man", so Kaube, "in einem Feuilleton über die feuilletonistisch unergiebigste Politikerin seit Menschengedenken sagen: Stil."
Klar, darf man.
"Man musste", so Kaube, "sie stets nur mit den Staatsführern andernorts vergleichen, den Sarkozys und Hollandes, den Berlusconis und Camerons, von den Trumps und Putins ganz zu schweigen, um zum Schluss zu kommen: Eine in dieser Reihe ist nicht wie die anderen."

Alarmismus im Cyberspace

Darf man auch, ist aber ein bisschen unfair. Merkels Vorgänger im Amt war übrigens auch ein bisschen wie die, also wie die anderen. Muss man leider zugeben.
"Alarmismus ist diesem Genre die Grundzutat", heißt es bei Felix Simon in der NZZ über die Cyberspace Bücher, und: "Alle sind sie von Männern geschrieben, die selbstbewusst mit den ganz grossen Begriffen hantieren".
Ich sag´s ja. Der Cyberspace ist der Bundestag.

Lesende Männer braucht das Land

Und jetzt kommt´s gleich. Erst ein kleiner Umweg über die Welt. In der berichtet nämlich Wieland Freund: "Die Stiftung Lesen hat in Berlin ihre aktuelle Vorlesestudie präsentiert. Die Ergebnisse sind ziemlich genauso, wie man erwartet. (...) Kinder, denen vorgelesen wird, tun sich leichter mit dem Lesenlernen." "Vor allem aber – und das ist das wirklich spannende Ergebnis dieser Studie", findet Freund, "braucht die Gesellschaft womöglich ein anderes Männerbild. Denn Jungen tun sich beim Lesen schwerer – was offensichtlich nicht an ihrer Hardware liegt, sondern daran, dass ihnen im statistischen Vergleich seltener vorgelesen wird." "Offenbar", so Freund, "geben gerade Männer im mittleren Alter mit schöner Regelmäßigkeit das Lesen von Romanen dran. Damit aber fallen sie als Vorbilder aus – vom Vater lernt der Sohn nur noch das Zeitunglesen." So Wieland Freund in der Welt.
Und dann kann der Sohn, wenn er zufällig hinten anfängt, bei der taz-kultur zum Beispiel, prompt bei echt krassen Negativ-Vorbildern landen – bei einem Brief etwa, den die taz "im Rechercheverbund mit Russia Today, der Wolfgang Beltracchi-Stiftung und dem Konrad Kujau-Fonds für Zeitgeschichte" rekonstruiert hat. Da gratuliert Gerhard Schröder, die Älteren von uns erinnern sich, Henning Scherf, die Älteren von uns erinnern sich – jetzt, echt nicht? – war mal Bremer Bürgermeister, zum Geburtstag. Ein waschechtes Fakefaksimile. Text: "31. Oktober 2000. Mein lieber Henning, Happy Birthday alter Wassertrinker! Was auch immer Du Dir mit Deinen Flitzpiepen im verkackten Bremen an Quatschprojekten einfallen lässt: Wir zahlen das, wenn Du mir bei der Steuerreform spurst. Cheerio! Gerhard Schröder."

Die Grüne Crème de la Crème

Das ginge so heute nicht mehr. Heute beschimpfen Männer sich anders, schon gar, wenn sie beide es für durchaus möglich halten, dass sie eigentlich Macron sind. Nein, nicht Jens Spahn in diesem Fall, die anderen beiden: Es geht um ein Wort, mit dem Robert Habeck, so Sophie Spelsberg in der taz, "gar nicht einverstanden" war. "CREMIG? Das hatte ihm Christian Lindner am Sonntagabend in der Talkrunde von Anne Will an den Kopf geworfen." "Dabei", findet Spelsberg, "könnte Habeck stolz auf seine cremigen Grünen sein. Alles läuft wie geschmiert", schreibt sie und zitiert Cristian Lindner, der "schon mal über sich selbst gesagt (habe), er sei nicht immer so 'elegant und entspannt und cremig'."
In der in der NZZ zitierten Politik der Zukunft steht, "Wir seien noch nicht bereit … 'für die Welt, die wir erschaffen'." Das gilt ganz offenbar auch im Bundestag. Nicht nur im Cyberspace.
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