Aus den Feuilletons

Männliche Gewalt im öffentlichen Raum

Ein Streifenwagen der Polizei fährt am 05.01.2016 in Köln (Nordrhein-Westfalen) am Hauptbahnhof vorbei.
Die "TAZ" fragt: "Was wäre anders gewesen, wenn es sich bei den Tätern nicht um 'nordafrikanische', sondern um urdeutsche Männer gehandelt hätte?" © dpa / picture alliance / Oliver Berg
Von Klaus Pokatzky · 05.01.2016
Auch die Feuilletons beschäftigen sich mit den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht. In der "FAZ" mahnt Kristina Schröder die Auseinandersetzung mit "gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur" an. Die "TAZ" meint dagegen, man sollte nicht in erster Linie nach der Herkunft der Täter fragen.
"Was in Köln in der Silvesternacht geschah, macht manche offenbar sprachlos", lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Es gilt auszusprechen, was war", fordert Ursula Scheer – und meint damit: Wer es war.
"Nach allem, was man bisher weiß, hat dort eine Gruppe von Kriminellen die chaotische Situation vor dem Hauptbahnhof ausgenutzt, um sich unbehelligt über Dutzende von Opfern herzumachen",
heißt es in der Tageszeitung TAZ. Es war aber offensichtlich eine sehr große Gruppe oder es waren recht viele Gruppen, die sich in Köln – und wie wir mittlerweile wissen, auch in Stuttgart und Hamburg – in der Silvesternacht benommen haben wie die allerletzten Primaten, die jeder Zivilisation ihre Absage erteilen. Daniel Bax fragt in der TAZ:
"Ist das ein Beweis für die 'Maskulinisierung des öffentlichen Raums', die angeblich durch die vielen männlichen Flüchtlinge drohe, die nach Deutschland kommen? Die Polizei beeilte sich in ihren ersten Stellungnahmen, solchen Vorurteilen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie betonte, bei den Tätern habe es sich nicht um Flüchtlinge gehandelt, sondern um polizeibekannte Intensivtäter, die in dieser Nacht offenbar gezielt und als Gruppe aufgetreten seien."

Ist die Herkunft von Belang?

Warum polizeibekannte "Intensivtäter" einfach so frei herumlaufen und weitere schwere Straftaten begehen können, wird uns die Politik in den nächsten Tagen sicherlich noch erklären können.
"Dabei stellt sich auch in diesem Fall für seriöse Medien die Frage, ob die Herkunft der Täter im Vordergrund stehen muss oder nicht", erinnert in der TAZ Daniel Bax an journalistische Verantwortung und gibt seine sehr deutliche Antwort:
"Was wäre anders gewesen, wenn es sich bei den Tätern nicht um 'nordafrikanische', sondern um urdeutsche Männer gehandelt hätte? Für die betroffenen Frauen nicht viel."
Fakt ist nun aber nach dem bisherigen Erkenntnisstand, dass sich hier nicht urdeutsche Primaten ausgetobt haben.
"Sie wurden lange tabuisiert, aber wir müssen uns mit gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur auseinandersetzen."
So zitiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE Kristina Schröder, die ehemalige Bundesfamilienministerin von der CDU. Und Ursula Scheer meint trocken dazu:
"Die Diskussion hat gerade erst begonnen."
Vielleicht ein wenig spät.

Waffen zum Weihnachtsfest

"Angst ist tief in der menschlichen Existenz verankert, seit Urzeiten sendet sie Warnsignale und erlaubt, einmal überwunden, Entwicklungssprünge."
Das steht ebenfalls in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN – aber in einem Artikel, der sich dem "Weg in den Angststaat" gewidmet hat. "Wo unkalkulierbare Gefahren kulminieren, macht sich eine Politik der Angst breit", schreibt Claus Leggewie:
"Zum Weihnachtsfest wurden in den Vereinigten Staaten so viele Waffen verkauft wie nie zuvor, auch in Sachsen soll das Bedürfnis nach bewaffneter Selbstverteidigung rasant gewachsen sein. Und das, obwohl das Leben auf den Wohlstandsinseln noch nie so sicher war wie heute."
Die Frauen vom Kölner Hauptbahnhof werden das wohl etwas anders sehen. Aber vielleicht ist der Beitrag des Direktors des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen ja auch ein paar Tage in der Redaktion liegengeblieben und wurde dann vom Autor nicht mehr aktualisiert mit Aspekten zu dem Beispiel von Innerer Sicherheit und Angst, das uns nun beschäftigt.
Claus Leggewies Thema ist, wie Populisten profitieren, wenn Gesellschaften verunsichert werden durch Furcht "vor Selbstmordattentaten, auch vor dem Islam, der Klimakatastrophe, Überfällen, vor Amerikanern, Juden und Aliens". Ein Jahr der Angst sei vergangen, es möge daraus kein Jahrzehnt werden. Sein Rezept:
"Das historisch bewährte Gegengift heißt Mut."
Und manchmal auch Polizei und Justiz, sei hinzugefügt.
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