Aus den Feuilletons

Männer ohne Orientierung

04:14 Minuten
Eine Illustration zeigt Männer auf einem Boot im Meer, die versuchen, sich zu orientieren. Eine Frau gibt die Richtung vor.
Männer verlieren mehr und mehr die Orientierung, erklärt der Psychologe Stephan Grünewald in einem Interview mit der "Welt". © imago/Ikon Images
Von Paul Stänner · 07.07.2019
Audio herunterladen
Die „Welt“ diagnostiziert eine Ent- und Umwertung des Männlichen. Weder zu stark noch zu schwach dürfen Männer sein. Sie würden orientierungslos. Nicht so Nicolas Sarkozy. Der wisse sich zu helfen und mache sich größer, als er ist, verrät die „SZ“.
"Ach! João Gilberto ist gestorben", klagt die WELT. João Gilberto ist einer der Väter des Bossa Nova, jener ultracoolen brasilianischen Musik, die Ihnen beim Hören eine Caipirinha in die Hand drückt. "Kein Pomp, kein Kitsch, nur die beiläufige Perfektion eines Menschen, der ein absolutes Gehör hatte und wie ein Besessener übte", schreibt die WELT.
Was Sie, liebe Hörer, auf jeden Fall kennen, ist das legendäre "Girl from Ipanema". Und wenn nicht, gehen Sie schnell auf YouTube. Ein Song mit Ewigkeitsweihen!
Seinen leichten, introvertierten Stil erarbeitete sich Gilberto im Haus seiner Schwester, weiß die SÜDDEUTSCHE: "Stundenlang schloss er sich dort im Bad ein. Die harte Akustik der Fliesen und die Einsamkeit brachten ihn Stück für Stück näher zu jener Form, die den Pop entschmachten und den Samba zum Bossa Nova herunterkühlen sollte."
Von seinem Gesang schwärmt die Tageszeitung TAZ: "Seine Attitüde war die einer kindlichen Unschuld, einer melancholischen Hilflosigkeit und wirkte eher unmaskulin." "Unmaskulin"- und das bei einem Brasilianer! Im Lande der durchgestyltesten Körper- und Strandkultur!

Gilberto hatte psychische Probleme

Aber sanft brachte er es zu Weltruhm, resümiert der TAGESSPIEGEL: "Der Stil Gilbertos beeinflusst eine ganze Generation internationaler Künstler, darunter Miles Davis, Frank Sinatra, Ella Fitzgerald und Tony Bennett."
Und erinnert an die Schatten auf der Seele des zurückgezogen Lebenden: Er "bezeichnet sich als Opfer einer internationalen Verschwörung, an deren Spitze die Königin von England stehe. Es ist klar, dass Gilberto psychische Probleme hat." Am Ende war er einsam und pleite, seine Tochter ließ ihn entmündigen.
Aber die WELT feiert ihn wie beim Besuch einer Journalistin noch vor zwei Jahren: "João trank Champagner und redete wirres Zeug, wunderbares João-Zeug. Von den Champagnerperlen, die ‚im Raum aufgehen, sehen Sie, sie sind schon überall, längst nicht mehr im Glas, im Raum, wie Töne, ach!‘. Und die WELT fügt noch ein redaktionelles "Ach!" hinzu. Und wir schließen uns mit einem "Ach!" an. Nun greifen Sie zur Caipirinha und hören Sie Gilberto, denn es wird nicht besser!

Sarkozy macht sich größer, als er ist

Die WELT interviewt den Psychologen Stephan Grünewald und wir lernen – wieder ein "Ach!" –, dass die Männer die Orientierung verloren haben. Grünewald sagt: "Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine Ent- und Umwertung des Männlichen erlebt, doch der brave und selbstreflektierte Frauenversteher, mit dem man sich nicht auseinandersetzen kann, wird auch von den Frauen nicht geliebt." Das und noch Schlimmeres sagt er.
Dagegen wehrt sich Nicolas Sarkozy, wie die SÜDDEUTSCHE schildert. Der Ex-Präsident ist zehn Zentimeter kleiner und 15 Jahre älter als seine Carla, wollte aber, dass sie auf einem Illustriertenfoto ihr Gesicht schutzsuchend an seiner schmalen Brust birgt: Selbstbewusst stieg er eine Treppenstufe höher und stauchte die große Carla. Dieser Mann auf jeden Fall hat seine Orientierung nicht verloren.

DIE GROSSE Kunstausstellung

Die FAZ – dies zum Schluss – mokiert sich über Düsseldorf. Dort werden Museen umbenannt und die Rechtschreibung reformiert, um dem Kunstbetrieb ein wenig Pep zu verleihen. Bei "DIE GROSSE Kunstausstellung" – so heißt ein Event – wird DIE GROSSE in Großbuchstaben geschrieben. Die FAZ lästert:

"Auch die Grammatik ist unter den Opfern. Wie der Katalog mitteilt, ist die Matthias-Claudius-Grundschule ‚Kooperationspartner der DIE GROSSE‘. Stammeln statt flektieren: Vielleicht soll dieser Lerneffekt verbürgen, dass man den Schock des Neuen erlebt."
Und dann der finale Hieb: "Dass die Kunstinstitutionen neuerdings so häufig ihre Namen ändern, hat wohl auch damit zu tun, dass die Kunst ihr Versprechen des permanent Neuen nicht mehr hält."
Wie Sie sehen, verschwindet der Montag feuilletonistisch in einem großen "Ach!" Also: Trösten Sie sich mit einer Caipirinha!
Mehr zum Thema