Aus den Feuilletons

"Lesen ist gefährlich"

Altes Buch mit vergilbten Seiten und angestoßenen Kanten am Buchdeckel, aufgenommen am 2.4.2012. Foto: Jens Kalaene dpa/lbn
© dpa / Jens Kalaene
Von Hans von Trotha · 19.05.2014
In der Kulturpresseschau geht es unter anderem um das Lesen, um Arthur Schnitzlers Novelle "Später Ruhm" und - mal wieder - um Conchita Wurst.
Vorab eine Warnung: Vorsicht, diese Kolumne könnte versteckt subjektive Positionen enthalten. Aber, und das ist immer noch Teil der Warnung: Sämtliche Meldungen sind echt.
Auch die: "Man muss", so Wieland Freund in der WELT, „deshalb weder zur HB greifen (Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit) noch in die Luft gehen, aber es ist wahr: Amerikanische Universitäten diskutieren derzeit, ob es nicht besser wäre, das ein oder andere literarische Meisterwerk demnächst mit einem Warnhinweis zu versehen. Auf Studienausgaben von Shakespeares 'Kaufmann von Venedig' würde dann, wie die 'New York Times' sich zu erklären bemüht, so etwas wie 'Achtung! Enthält Antisemitismus´ stehen, im Falle von Virginia Woolfs Roman Mrs. Dalloway würde entsprechend vor suizidalen Inhalten gewarnt."
Auch die SÜDDEUTSCHE meldet: "Lesen ist gefährlich". Jörg Häntzschel erläutert die Argumentation so: "Beschreibungen von Gewalt, Selbstmord, Missbrauch oder Diskriminierung könnten bei Lesern, die diese Erfahrungen selbst gemacht haben, 'Flashbacks' hervorrufen, die ähnlich stark seien wie die Erfahrungen selbst. Die Universitäten hätten die Pflicht, die Studenten vor solchen 'Triggern' zu warnen."
Ob die an der Diskussion Beteiligten auf ihren Drogenkonsum hin getestet wurden, ist nicht Teil der Meldungen. Wieland Freund meint: "Wer darüber keine HB rauchen und auch nicht in die Luft gehen will, kann sich vielleicht mit dem Gedanken trösten, dass die Literatur schon lange nicht mehr so ernst genommen worden ist. Immerhin ist es schon 239 Jahre her, dass der Leipziger Stadtrat die Verbreitung von Goethes Werther untersagte, weil der 'eine Empfehlung des Selbst Mordes' sei."
"Vorsicht!", rufen auch hierzulande die Feuilletons wegen eines neuen Buchs. Mit diesem "Vorsicht!" zitiert Mathias Schnitzler in der BERLINER ZEITUNG Feuilletonkollegen, die meinen die Novelle "Später Ruhm" von Arthur Schnitzler sei doch nicht so unbekannt gewesen wie der Verlag behauptet, sondern vielmehr "ein alter Hut". Fazit des einen über den anderen Schnitzler: "Keine Sensation, kein verschollenes Meisterwerk. Der Marketingabteilung von Zsolnay darf man aber auf die Schultern klopfen: Das Buch ist im Gespräch." Wie damals der Werther. Nach dem wurde sogar eine ganze Generation benannt.
Das ist jetzt grad ganz en vogue, dieses "Genaration Soundso". Ines Geipel hat ein Buch geschrieben, das heißt: "Generation Mauer". Cornelia Geißler findet in der BERLINER ZEITUNG: "Das Buch verspricht etwas, was es nicht einlöst. Aber das ist nicht schlimm." Vermutlich gilt genau das für alle Label, die mit "Generation" beginnen - auch für griechische "Generation Polytechnikum". Im TAZ-Interview erklärt Petros Markaris:
"Als Generation Polytechnikum bezeichnet man die Studenten, die während der Militär-diktatur in Griechenland Widerstand geleistet haben. Wir haben diese jungen Leute sehr bewundert für ihren Mut und für das, was sie durchgemacht haben. Viele sind gefoltert worden. Aber jener Teil dieser Generation, der danach den öffentlichen Raum besetzt hat, in die Politik ging, Gewerkschafter wurde oder Professor, ist mitverantwortlich für die Misere von heute. Viele von ihnen sind in der sozialdemokratischen Pasok gelandet."
Was es dann wohl gewesen wäre für die "Generation Polytechnikum". Dafür gibt es laut der von der TAZ zitierten Springer-Presse das "sensationelle Comeback der Krisen-Griechen", während Europa sonst vor allem damit beschäftigt zu sein scheint, den Fall Conchita Wurst zu verdauen. Isolde Charim erläutet, ebenfalls in der TAZ, was da gelungen sein soll: "Der 'weiße Mann´" sei "die letzte und bislang intakte Bastion" in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Identität. Und der soll jetzt ausgespielt haben. "Conchita Wurst", so Charim, "ist nicht weniger gelungen, als dafür ein Bild gefunden zu haben ... eine masseneuphorisierende Figur für diese 'Geste der Selbstdurchstreichung´ (Luca di Blasi)."
So viele Geisteswissenschaft nach einem Song Contest war selten. Doch die "Geste der Selbstdurchstreichung" hat auch Folgen, die jeder versteht. Conchitas Heimatort nennt sich zum Beispiel nicht mehr Bad, sondern "Bart Mitterndorf". Da wächst eine neue Generation heran, eine Generation Wurst. Mit eigenen Warnhinweisen. An denen wird noch gearbeitet. Immerhin, so viel können wir der TAZ schon entnehmen, sind die nicht von der katholischen Kirche zu erwarten. Der Wiener Kardinal hat Conchita längst gratuliert.