Aus den Feuilletons

"Leise Stimme, großes Echo"

Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (r) im Gespräch mit dem Schriftsteller Siegfried Lenz (l) am 25.02.1981.
"Siegfried Lenz läuft den Lesern nicht nach, er zwingt sie, ihm zu folgen", lobte einst Marcel Reich-Ranicki in der "FAZ". © dpa / picture alliance / Roland Witschel
Von Hans von Trotha · 07.10.2014
Die Feuilletons wetteifern um die gelungenste Überschrift zum Gedenken an den Schriftsteller Siegfried Lenz. Der "Tagesspiegel" nimmt die Buchmesse zum Anlass, Autoren danach zu fragen, wie sie zu den Namen ihrer Figuren kommen.
"Was für ein leiser großer Mann ist gestern gestorben", schreibt Volker Weidermann in der FAZ, und unter der Überschrift "Leise Stimme, großes Echo" lässt die SÜDDEUTSCHE Weggefährten an Siegfried Lenz erinnern. Angemessenes Gedenken ist ja alles andere als einfach.
"Siegfried Lenz läuft den Lesern nicht nach, er zwingt sie, ihm zu folgen".
Mit diesem schönen Satz zitiert die FAZ, wer auch sonst, Marcel Reich-Ranicki, ein für ihn ungewöhnlich leises, schönes Lob. Schrill verheddert sich dagegen die WELT in ihrem Versuch, leise zu sein - das Blatt übrigens bei dem Sigfried Lenz einst als Schreiber angefangen hat, und zwar war es, wie der FAZ zu entnehmen ist, "seine erste Aufgabe, die einzelnen Folgen des täglich erscheinenden Fortsetzungsromans so einzurichten, dass es spannend blieb". Und nun titelt ebendiese WELT, man mag es kaum zitieren:
"So zärtlich war die Bundesrepublik."
Und setzt noch drauf:
"Er gab die beste Deutschstunde unseres Lebens."
Man will Zeitungsautoren ja intuitiv immer vor den Schlagzeilen-Redakteuren in Schutz nehmen – aber Barbara Möller meint es so, wie es da steht:
"Es klingt vielleicht pathetisch", stellt sie immerhin fest, "aber sein Schreiben hat auch unser Befinden gebessert. Weil es ihn gab, konnte die spröde Bundesrepublik so zärtlich wie Suleyken sein."
Beatrix Langner weist in der NZZ darauf hin, dass Lenz "der meistgelesene deutsche Erzähler" war. Das überrascht weniger als Klaus Englerts Erinnerung in der TAZ, dass der vor zehn Jahren verstorbene Jacques Derrida einmal "der weltweit meistzitierte Philosoph" gewesen ist. Und ihm schwante, dass das nicht lange so bleiben würde.
"Kurz vor seinem Tod", berichtet Englert, "sorgte er sich um seinen Nachruhm, befürchtete er doch, nicht mehr gelesen zu werden." "Nach meinem Tod", sagte der vom Krebs schon Gezeichnete, "wird nichts mehr übrig bleiben. Ausgenommen das, was in den Pflichtbeständen der Bibliotheken verwaltet wird."

Ursula Leßke räumt auf der Buchmesse in Frankfurt am Main am Stand des Coppenrath Verlags Bücher in ein Regal.  
Welches Buch der Messe hat am Ende Bestand - und steht in Zukunft in der Bibliothek?© dpa / picture alliance / Arne Dedert
Was lesen wir in zehn Jahren?
Was, fragt man sich da unwillkürlich, von dem vielen, was derzeit in Frankfurter Regalen zur Schau gestellt wird, lesen wir in zehn Jahren noch?
"Frankfurts Buchmesse ... wächst ... nicht", bemerkt die NZZ, "nur Literaturagenten und Selbstverlage legen zu"
- nicht gerade ein Indiz für nachhaltige Produktion. Das bislang meistzitierte Buch der Messe sind gefilterte Tonbandabschriften mit hohem Voyeurismusfaktor. Eine "Geschichte ohne Helden" nennt Stefan Reinecke in der TAZ das Buch "Das Vermächtnis" von Heribert Schwan und Tilman Jens, aber auch die Geschichte drumherum. Das Buch verleitet zum pornografischen Lesen – so hat Eckehard Henscheid einmal jede Lektüre bezeichnet, die nach bestimmten "Stellen" aus ist. Die sind in "Das Vermächtnis" sogar kursiv gesetzt, sodass man schnell von Hildegard Hamm-Brücher - "Eines der bösartigsten Weiber in der Geschichte der Republik" – zu Walter Scheel - "Eine charakterliche Null, der nichts einbrachte außer seiner NSDAP-Mitgliedschaft" - hüpfen kann. "Ein Dokument der Niedertracht" sei das Buch, findet Reinecke. Er resümiert:
"Dass Diktatoren wie Stalin Misanthropen waren, überrascht nicht. Aber Kohl, der 16 Jahre die Republik regierte? So trostlos Kohl in diesem Buch erscheint, so mies ist der Kampf um sein Erbe." Und: "Heribert Schwan verhält sich wie ein beleidigter Lebensabschnittspartner auf Rachefeldzug."
Derzeit unterwegs auf der Frankfurter Buchmesse.
Die Insel als literarisches Sujet
Die dominiert die Feuilletons saisongemäß. Wer nicht den frischgebackenen Buchpreisträger zum Interview bekommen hat – das füllt die Seiten am ersten Messetag für gewöhnlich am Effizientesten - muss nach dem suchen, was das Lesen und das Schreiben, die Messe und den Preis irgendwie zusammenhält. Gefunden hat´s Volker Breidecker für die SÜDDEUTSCHE – es ist die Insel:
"Inselgefühle lässt die Literatur in diesem Herbst aufkommen. Zu spüren war dies bereits beim Wettbewerb um den Deutschen Buchpreis: Von der im baltischen Meer gelegenen finnischen Insel Uusimaa über die Berliner Pfaueninsel und zurück auf die Ostseeinsel Hiddensee im Sommer und beginnenden Herbst des Jahres 1989 ging die Reise."
Alexander Krusowitsch hat Lutz Seiler den Helden genannt, den er nach Hiddensee schickt. Der TAGESSPIEGEL nimmt die Buchmesse zum Anlass, Autoren danach zu fragen, wie sie zu den Namen ihrer Figuren kommen. Glücklicherweise ist einer der Teilnehmer dieser Umfrage Wolf Haas. Der berichtet:
"Ich habe schon eine Figur nach mir benannt ... . Ein Kritiker hat nachgezählt und resümiert: Wie eitel muss ein Autor sein, der seinen Namen 625 Mal in sein Buch reinschreibt." "Wo ich Anregungen herbekomme?", schleudert er die Nachfrage rhetorisch zurück, um festzustellen: "Die ergiebigste Quelle ist das Gehirn."
Das kann man einer Buchmesse wohl nur wünschen: dass diese Quelle dann doch wichtiger wird als das Anzapfen von Gesprächsmitschnitten.
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