Aus den Feuilletons

Kritik an Beschränkungen für politischen Protest

04:11 Minuten
Ein Mann überquert mit einem Fahrrad eine leere Straße
Auf die Straße zu gehen, um frei seine Meinung zu äußern, werde gerade von der Ordnungsmacht sehr unterdrückt, meint die "taz". © dpa / picture alliance / Peter Kneffel
Von Ulrike Timm · 06.04.2020
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Politisches Engagement sei in Zeiten der Corona-Einschränkungen fast unmöglich, schreibt die "TAZ". Trotz penibler Einhaltung der Abstandsregeln konnte eine Demonstration zugunsten Geflüchteter nicht stattfinden - auch eine Auto-Demo wurde aufgelöst.
"Lob der Faulheit" – titelt der TAGESSPIEGEL, das ist die erste Schlagzeile, die der Pressebeschauerin heute ins Auge springt. Da hat sie noch einen ganzen Stapel Zeitungsseiten durchzusehen und kann also nur müde lächeln.
Ähnlich geht’s weiter: "In diesen Tagen der Isolation gewinnt das Sofa wieder an Bedeutung – auf diesem lümmelnd empfiehlt sich die Lektüre von Gontscharows "Oblomow". In ihrer täglichen Rubrik "Über Lebenskunst" empfiehlt uns die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG das Werk. "Oblomow, ein Mann, dessen Hauptbeschäftigung das Herumliegen im selten gelüfteten, verstaubten, unaufgeräumten Wohn-, Ess- und Schlafzimmer seiner Petersburger Stadtwohnung ist", wurde trotzdem zu einer Ikone der Weltliteratur.

Hoffnung auf die Krise als Chance

"Raus aus dem Hamsterrad: Manch einer hat jetzt endlich Zeit" meint der TAGESSPIEGEL. Klar, jeder, der neben der Betreuung kleiner Kinder, die seit Wochen nicht auf dem Spielplatz toben dürfen, noch eine gute Portion Homeoffice wuppt, fühlt sich da eher nicht angesprochen. Trotzdem, Autor Max Tholl meint unverdrossen:
"Man wird dieser Tage leicht zum Zwangsoptimisten. Vielleicht stärkt die Coronakrise wenigstens unsere Solidarität und unser Verantwortungsbewusstsein? Irgendwie muss sich diese Krise doch auch als Chance entpuppen. Und sei es nur, dass man sich endlich mehr Zeit nimmt."
Es folgt eine kleine Kulturgeschichte wider den schlechten Ruf der Faulheit, etwa wenn der Philosoph Guillaume Paoli zu einem klugen Lob auf den Esel ansetzt, der ja so fix für dumm und faul genommen wird: "In Wahrheit aber sei sein Eigenwille einfach nicht vollständig von der Domestizierung gebrochen worden", sagt Paoli, und: "Trägheit ist eine Kraft!"
Kurzum, wir müssen nicht alle selbstoptimiert wieder aus unseren Wohnungen hervorgekrochen kommen, aus penibel aufgeräumten Zimmern, mit aufgemöbeltem Französisch und in von der gestreamten Yogastunde trainierten Körpern.

Versammlungen werden unmöglich

Der TAZ aber ist all das entschieden zu ruhig. "Ruhe im Karton", Erik Peter kritisiert heftig, wie stark die Coronaverordnungen jedweden politischen Protest einschränken. "Selbst gegen die Notstandsgesetze konnte 1968 noch demonstriert werden!" heißt es, heute dagegen, so die TAZ als Beispiel:
"In Frankfurt/Main wird eine Ansammlung von Demonstranten im Rahmen des #Leave-NoOneBehind-Aktionstages zur Evakuierung der griechischen Flüchtlingslager aufgelöst, obwohl sie penibel einen Zwei- Meter-Abstand einhalten. In Berlin unterbinden Polizisten sogar eine Auto-Demonstration. Was sich die Protestierenden auch haben einfallen lassen, um dem Infektionsschutz gerecht zu werden und dennoch ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen, sie scheitern an einer autoritär agierenden Ordnungsmacht. Auf die Gelegenheit, Versammlungen gleich ganz zu verbieten, scheinen einige nur gewartet zu haben", mutmaßt die TAZ.

Online bis ins Kloster

In vielen Artikeln dieser Tage gilt’s der Kunst, ganz pur, was meint das Bild, der Ton, der Text? "Manchmal lernt man durch klösterliche Abgeschiedenheit gewaltig über die Vergangenheit und kann aus einer Kammer zu den Sternen fliegen" freut sich Stefan Trinks in der FAZ und empfiehlt uralte Handschriften aus Klöstern, die online zu sehen sind und die "mit moderner Technik so lebendig präsentiert werden, dass sie Alt und Jung gleichermaßen in ihren Bann schlagen."
Auch da Vincis gewagte Maschinen können jetzt virtuell über den Bildschirm fliegen. Die TAZ freut sich über den Online-Spielplan der Schaubühne, der ein Wiedersehen mit legendäre Inszenierungen der Theaterheroen Stein, Bondy oder Breth zum ganz-neu-Anschauen bereit stellt und im TAGESSPIEGEL lässt sich Christiane Peitz auf die Triolen in Beethovens Mondscheinsonate ein.
Und wenn Sie sich trotz des Lobs der Faulheit doch lieber selbstoptimieren wollen: In Zeiten, wo man Haute Couture nicht mehr ausführen kann, macht das Modehaus Gucci einen Wellness- und Gesundheitspodcast, meldet die TAZ. Und bei Lagerfeld gibt’s Yogakurse.
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