Aus den Feuilletons

Kalt und herrisch

Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff am Rednerpult bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises.
Sibylle Lewitscharoff ist mit ihrer Aussage zu künstlich gezeugten Menschen zurückgerudert. © dpa picture alliance / Andre Hirtz
Von Klaus Pokatzky · 07.03.2014
Mit der missglückten Rede der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff beschäftigen sich "Berliner Zeitung" und "SZ". Außerdem Thema: die geschmacklose Horrorvilla des geflohenen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch in der "NZZ".
"Eine Einrichtung, die das Herz jedes Freundes von teurem Kitsch höherschlagen lassen musste",
präsentiert uns die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG:
"vergoldete Armaturen auf den Toiletten, Klomuscheln auf Goldfüsschen",
zählt Konrad Paul Liessmann quälend auf,
"üppige Kronleuchter und riesige Lederfauteuils, geschnitzte Stühle mit neogotisch gespitzten Lehnen."
In dieser Horrorvilla also lebte einst der ukrainische Potentat Wiktor Janukowitsch.
"Warum aber triumphiert der schlechte Geschmack so gerne in der Politik?",
fragt der Wiener Philosophie-Professor Konrad Paul Liessmann und verweist darauf, dass für Geschmacklosigkeiten vor allem Potentaten empfänglich sind, die aus ärmlichen Verhältnissen stammen. Der Parvenü hat keine ästhetische Erziehung genossen,
"orientiert sich aber gerne an den ersten, ursprünglichen ästhetischen Empfindungen: Es sind die des Kindes. Gross muss etwas sein, auffallend, bunt, glänzend, kostbar, beeindruckend, und der Nachbar soll es nicht haben."
Wenn aber der Nachbar Russland heißt, dann hat er es wohl schon.
"Auf die Gestalt Putins richten sich", steht in der Tageszeitung DIE WELT,
"verschiedenste Projektionsbedürfnisse in Bezug auf das vermeintlich ewig rätselhafte Russland".
Das schreibt Richard Herzinger und macht dann richtig Angst vor den unzähligen deutschen "Putin-Verstehern", die dem russischen Präsidenten
"klammheimliche bis unverhohlene Sympathie, oder doch zumindest großzügiges Verständnis entgegenbringen".
Ob "nationalkonservative Rechte" aus dem Milieu der AfD, "linke Regenbogenaktivisten und libertäre Antikapitalisten" oder Sozialdemokraten:
"In den Beschwichtigungen der Putin-Versteher lebt die alte Tradition eines schwärmerischen Russland-Bildes fort."
Würde Richard Herzinger dieses nun mit Zitaten und Quellen belegen, könnte einen das schon zum Nachdenken anregen. Allein, es gibt nur ein Zitat – und zwar vom glücklosen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück im Bundestagswahlkampf:
"Dass unsere westlichen Maßstäbe pluraler Demokratie nicht unmittelbar auf Russland übertragbar sind".
Das passt sicherlich zu lupenreinen Demokratenfreunden – nur ist es für einen Rundumschlag von nationalkonservativ bis Regenbogenlibertär dann doch etwas dünn. "Die Rede ist empörend", heißt es in der BERLINER ZEITUNG gar nicht dünn:
"Sie ist menschenverachtend und homophob, bedient faschistische Denkmuster und rollt Rassisten den Teppich aus."
Die Rede ist natürlich die der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff vom vergangenen Sonntag, die die Feuilletons in Wallung versetzt hat. Ihre Bezeichnung "Halbwesen" für künstlich gezeugte Kinder hat sie inzwischen zurückgenommen.
"Sie missbraucht die Religion für andere, eigene Zwecke",
findet die BERLINER ZEITUNG, wenn Sibylle Lewitscharoff für sich ein christliches Menschenbild reklamiert.
"Die kalte, herrische Sprache Lewitscharoffs", meint Dirk Pilz, "ist Ausdruck einer ganz und gar unchristlichen Selbstvergöttlichung, folglich fehlender Demut."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG macht es eine Nummer kleiner und verlangt, dass eine offene Gesellschaft aushalten müsse, wenn Unbehagen sich zeigt etwa gegenüber der Emanzipation der Schwulen oder den Folgen des medizinischen Fortschritts.
"Es gelten aber auch für die Artikulation von Unbehagen die allgemeinen Geschäftsbedingungen des zivilisierten Gesprächs. Wer es mit Verachtung und Abscheu beginnt, vergiftet es auf lange Zeit",
schreibt Jens Bisky – aber auch:
"Wer bei jeder missglückten Formulierung eine öffentliche Hinrichtung verlangt oder Unterwerfung unter Vorformuliertes, unterdrückt es."
Verglichen damit ist die Wohnungseinrichtung von Wiktor Janukowitsch direkt eine Wohltat.