Aus den Feuilletons

Jungs lieben Lego, Mädchen lieben Pferde

04:31 Minuten
Zwei Kunststofffiguren, ein Junge und ein Mädchen, sitzen auf einer Bank.
Kann es sein, dass sich in den letzten 50 Jahren an den Geschlechterrollen viel weniger verändert hat, als wir glauben? © June / Pexels
Von Burkhard Müller-Ullrich · 17.01.2021
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Jungen und Mädchen unterscheiden sich deutlich in ihren Spielgewohnheiten und Vorlieben. Klingt nach Klischee, ist aber noch so, schreibt die "Welt". Und meint: "Kinder sind die gefährlichsten Gegner der Genderforschung."
Hotpants oder Deutsches Reich? Bei der Auswahl geschichtlicher Gedenkartikel müssen wir uns zwischen der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und der FRANKFURTER ALLGEMEINEN entscheiden. Denn die SÜDDEUTSCHE kümmert sich nicht um die Kaiserkrönung in Versailles am 18. Januar vor 150 Jahren.
Sie feiert - oder nein - sie kommentiert den "50. Geburtstag eines besonderen Kleidungsstücks", das, wie die Autorin Tanja Rest formuliert, "Frauen entweder feministisch befreien oder sexistisch erniedrigen kann, je nachdem, woher das jeweilige Wechselwindchen des Zeitgeistes gerade pustet".
Wie heiß die Hotpants 1971 waren, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Ein wenig helfen mag dabei die Information, dass Stewardessen der Southwest Airlines die Dinger kombiniert mit Plateaustiefeln aus Vinyl zu tragen hatten, und dass das Motto dieser Fluggesellschaft lautete: "Sex sells seats".
Bei aller modehistorischen Aufklärung und feuilletonistischer Flockigkeit, die der Artikel bietet, kommt aber die Frage, was solche Eruptionen von Sexyness mit der Gesellschaft machen und wohin sie dann nach ein paar wilden Sommern verpuffen, ein bisschen zu kurz.

Warum sind Jungen und Mädchen so verschieden?

Verweilen wir aber noch einen Augenblick beim Geschlechtlichen, denn in der WELT steht ein köstlicher Text von Jan Grossarth, der sich mit der alle progressiven Eltern umtreibenden Frage beschäftigt: Warum sind Jungs und Mädchen so verschieden, auch wenn wir alles tun, um sie gleich zu behandeln?
Grossarth führt uns in seiner Feldstudie oder Sozialreportage an zwei Orte, wo sich das Problem exemplifiziert: ein Pferdehof, auf dem sich ausschließlich Mädchen tummeln, und ein Lego-Laden, an dessen Fensterscheiben sich nur Jungs die Nasen platt drücken, weil es da Monster, U-Boote und Kriegsmaschinen gibt.
"Wie kann denn so was im Jahr 2021 sein? Nach mindestens 50 Jahren wissenschaftsbasierter Gleichstellungspolitik", fragt Grossarth und fährt fort:
"Die Wissenschaft, die wissen könnte, wie das sein kann, ist die Genderwissenschaft. Google führt den Suchenden zur Universität Marburg. Anfrage an die Geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Gender Studies und Feministische Zukunftsforschung: Warum lieben Mädchen Pferde? Christl M. Maier antwortet: 'Da sind Sie bei mir leider völlig falsch. Ich bin Theologin. Das ist eine Frage für Psycholog*innen oder Pferdeexpert*innen.'"

Emil und die Detektive? Zu klischeebeladen!

Solcherart belustigt folgen wir der Beschreibung eines Kasseler Emeritus' der Evolutionspsychologie, der glaubt, dass Biologie sich nicht leicht wegerziehen lässt, und sagt: "Die Genderstudies mögen uns nicht, weil die den Menschen überschätzen."
Und noch lustiger wird es, wenn der Autor in der WELT über Kolleginnen der SÜDDEUTSCHEN schreibt, die in einem – Achtung! Ironie! – "spektakulären Datenjournalismusprojekt" Kinderbücher aus Genderaktivismusperspektive durchforstet haben und bei "Emil und die Detektive" zu dem Urteil kamen, "dies sei 'klischeebeladen', denn: 'Der Held dieser Geschichte ist ein Junge und Emils Bande besteht nur aus Jungs. Das Mädchen bringt Buttersemmeln.'"
Womit wir uns nun dem Deutschen Reich nicht nur zeitlich angenähert haben, sondern endlich auch zu dessen anfangs erwähntem Jubiläum kommen. Andreas Kilb analysiert in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über mehrere Entstehungsstufen das Bild "Eröffnung des Reichtags im Weißen Saal des Berliner Schlosses", das der Staatskünstler Anton von Werner gemalt hat.

Vierzig Jahre inneren und äußeren Frieden

Der ganze politische Kosmos jener Epoche lässt sich aus den hier festgehaltenen Posen, Blicken und Konstellationen der Figuren lesen: "Auf dem Weg von der Skizze zum fertigen Bild entfernte von Werner auf Wunsch seines Monarchen mehrere Parlamentarier aus seiner Darstellung, andere rückten in den Hintergrund."
So etwas war natürlich Usus; vielleicht sollte man das heute dazusagen. Zu Recht aber verweist Kilb auf einen guten Grund, das Jubiläum der Reichsgründung zu feiern, denn Deutschland erlebte "gut vierzig Jahre eines bis dahin nicht gekannten inneren und äußeren Friedens, der sich in steigenden Bevölkerungszahlen, industriellen Höchstleistungen und dem Aufstieg zur größten Handelsmacht der Welt niederschlug".
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