Aus den Feuilletons

Journalisten hinter kugelsicheren Vorhängen?

Der türkische Präsident Erdogan und sein nordzyprischer Amtskollege Mustafa Akıncı
Türkeis Präsident Erdogan will 18 Journalisten im Gefängnis sehen. Mutmaßlich, um sich so scharfen Kritikern zu entledigen. © AFP/Iakovos Hatzistavrou
Von Tobias Wenzel |
Auf Rhodos wurde ein Archiv aus der Nazi-Zeit entdeckt, das viele gerne ignorieren würden, schreibt die "SZ". In der Türkei kämpfen 18 Journalisten um ihre Freiheit, berichtet die "Berliner Zeitung". "Was wir tun können, als Journalisten? Weitermachen hinter unseren kugelsicheren Vorhängen", zitiert sie den angeklagten Chefredakteur einer türkischen Zeitung.
"Kann das sein? Eine Tür, fast 70 Jahre lang verschossen, und keiner will wissen, was dahinter ist?",
fragt Christiane Schlötzer im Feuilleton-Aufmacher der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Ende 2013 öffneten der italienische Historiker Marco Clementi und die griechische Archivarin Eirini Toliou einen offensichtlich sieben Jahrzehnte lang verschlossenen Raum in einer Polizeistation auf der griechischen Insel Rhodos. Darüber haben die beiden nun ein Buch auf Italienisch veröffentlicht.
Denn sie entdeckten damals ein riesiges Archiv über die Bevölkerung der Insel aus den Jahren 1912 bis 1946, also der Zeit, in der Italien und später die Nazis Rhodos besetzt hatten und die ursprünglich osmanische Insel noch nicht griechisch war. Eine Spezialeinheit italienischer Carabinieri hatte wie später die Stasi gearbeitet und dann die Nazis unterstützt. Unter anderem mit einer Liste, auf der 1661 Namen aller bekannten jüdischen Bewohner verzeichnet waren. Nur 163 überlebten Auschwitz. Christiane Schlötzer zitiert in der SZ den italienischen Historiker Clementi mit den Worten: "Von den Italienern wurde nie jemand deswegen verurteilt, niemand war im Gefängnis."
18 linke Journalisten in der Türkei am Pranger
Im Vergleich dazu erscheint es als Hohn, wofür nun 18 türkische Journalisten, wenn es nach dem Präsidenten Erdogan geht, jahrelang im Gefängnis sitzen sollen. Sie haben in ihren linken Medien am 1. April ein Foto veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, wie im Rahmen einer Entführung "Linksextremisten [ ... ] dem Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz eine Waffe an den Kopf" hielten. Darüber berichtet Frank Nordhausen in der BERLINER ZEITUNG.
Das veröffentlichte Foto sei aber nur ein Vorwand. In Wirklichkeit gehe es der türkischen Regierung darum, "einige ihrer schärfsten Kritiker einzuschüchtern". Dafür spricht auch folgendes Detail, auf das Nordhausen hinweist: "Eine Reihe regierungsnaher Medien, die das Bild publizierten, werden [ ... ] nicht belangt." Die BERLINER ZEITUNG zitiert Can Dündar, den angeklagten Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, mit den Worten: "Was wir tun können, als Journalisten? Weitermachen hinter unseren kugelsicheren Vorhängen."
Der Jurist Heinrich Schmitz will nicht mehr weitermachen. Seinen Fall schildert Sonja Álvarez im TAGESSPIEGEL. Schmitz hatte sich als Unterstützer der Initiative "Heime ohne Hass" dafür stark gemacht, fremdenfeindliche Demos in unmittelbarer Nähe zu Flüchtlingsheimen zu verbieten. Daraufhin habe ein Unbekannter gegenüber der Polizei behauptet, Schmitz habe seine Frau ermordet. Jetzt fürchte Schmitz um die Sicherheit seiner Frau und seiner Kinder: "Ich kapituliere."
Anja Reschke fühlt sich trotz übler Beschimpfungen sicher
Anja Reschke kapituliert nicht. Auf derselben Seite im TAGESSPIEGEL ist ein Interview mit der Fernsehjournalistin zu lesen, die am Mittwoch mit ihrem kritischen "Tagesthemen"-Kommentar zu rassistischer Hetze im Internet auf sich aufmerksam gemacht hatte. "Klar, Hass gegen mich ist nicht so angenehm, aber ich habe schon so viel Vertrauen in dieses Land, dass ich mich eigentlich sicher fühle." Und das, obwohl sie neben den vielen positiven Reaktionen auf ihren Kommentar auch übelste Beschimpfungen lesen musste: "verbrennt die Alte" und "die Antifa-Nigger-Muslim-Zigeunerhure".
Sexistische Beschimpfungen sind auch Donald Trumps Sache. Der Möchtegern-Präsidentschaftskandidat der Republikaner bezeichnete eine Fernsehjournalistin als "Bimbo". "Dieser Begriff zielt auf Frauen, die ihr Aussehen zum Einsatz bringen müssen, um im gesellschaftlichen Geschehen zu punkten", erklärt nun Stephan G. Richter in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und gibt dann einen kleinen Exkurs zur Herkunft des ursprünglich italienischen Wortes, mit dem auch im Englischen früher nur Männer bezeichnet wurden. Noch 1919 habe man unter "Bimbo" einen "dümmlichen, mitunter brutal agierenden" und "verachtenswerten" Mann verstanden. Richters Kommentar: "Dies sind pikanterweise alles Attribute, die man Donald Trump zuschreiben könnte."
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