Aus den Feuilletons

Ist Robert Habeck der künftige Kuschel-Kanzler?

06:20 Minuten
Der Bundesvorsitzende Robert Habeck (l) und der bayerische Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen, Ludwig Hartmann springen bei der Wahlparty der Partei von der Bühne ins Publikum.
Der Bundesvorsitzende der Grünen Robert Habeck beim Bad in der Menge © dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Arno Orzessek · 06.04.2019
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Neben der Frage nach der Kanzlerfähigkeit von Robert Habeck wurde in den Feuilletons kontrovers über die Schau "Contemporary Muslim Fashion" diskutiert. Nur die NZZ beschäftigte sich mit einer anderen Ausstellung. Über das Handwerk des Sensens.
"Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die Robert kann", dichtete, meisterhaft den Endreim regierend, Friedrich Küppersbusch in der TAGESZEITUNG.
Und spielte dabei, Sie ahnen es, auf Robert Habeck an, den grünen Darling, der in gar nicht ferner Zukunft womöglich Kanzler werden könnte. Eben diese Aussicht nimmt laut Küppersbusch starken Einfluss auf das grüne Grundsatzprogramm, das zur Zeit in Arbeit ist.
"Für die Lustfantasie vom Kanzler Habeck braucht man Ungenauigkeit, klare Kante dagegen kostet Punkte. Also wird das Grundsatzprogramm kuschelig werden."

Berlin ist nicht weit weg von Versailles

Ob sie nun eines Tages Robert Habecks Amtsvorgängerin gewesen sein wird oder nicht – fest steht: noch ist Angela Merkel Bundeskanzlerin. Und eine kulturbeflissene dazu. Jedenfalls hat sie am Deutschen Theater in Berlin Anna Lenks Inszenierung von Molières "Menschenfeind" mit Ulrich Matthes in der Hauptrolle besucht.
Und weil sie schon mal dort war, gestand ihr Simon Strauss in seiner Besprechung in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG eine wichtige Nebenrolle zu.
"Die Bundeskanzlerin sitzt im Parkett rechts hinten und putzt die Brille. Kein Lachen kommt aus ihrem Mund, höchstens ein leises Lächeln läuft um ihre Lippen. Sie ist ganz Herrscherin, ganz das, was in dem vorgeführten Stück noch Hof heißt, Zentrum der Macht. So weit entfernt liegt das Berliner Kanzleramt am Ende vielleicht gar nicht von Versailles […].
Zum Schluss kam es dem seitwärts äugenden FAZ-Kritiker Strauss so vor, "als würde die Kanzlerin jetzt doch einmal kurz lachen" – und auch ihm selbst hatte die Aufführung gefallen: "Lenk inszeniert Molières ‚Misanthrop‘ als eine sprühende, unterhaltsame Gesellschaftskomödie, die ihre identifikatorische Wirkung über die Epochen hinweg entfaltet."

30 Jahre dem Lachen auf der Spur

Lachen steht ja überhaupt in hohem Ansehen.
Warum das so ist, das erklärte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Willibald Ruch, der in Zürich Persönlichkeitspsychologie lehrt und nach 30 Jahren Humor-Forschung… nach 30 Jahren Tumor-Forschung wäre das vielleicht nicht der Fall… als Heiterkeits-Koryphäe gilt.
"Humor indiziert ein positives Gefühl. Die Menschen öffnen sich, wenn sie lachen. […]
Wenn mir jemand dieselbe Sache in einer Schimpftirade sagt, würde ich mich verschließen. Wenn man Inhalte mit Komik paart, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass dieser Inhalt ungefiltert in die Psyche eindringt."
Willibald Ruch in der SZ.

Repressives Korsett oder Freiheits-Zwang?

Gar nicht witzig geht‘s oft in der Debatte um Kopftuch, Vollverschleierung, Burkini und diese Dinge zu.
Davon keine Ausnahme machte in der FAZ der Artikel, der unter der eigentlich nicht einmal unwitzigen Überschrift stand: "Was genau hat Gott gegen offenes Haar?"
Die Ethnologin Susanne Schröter drang allerdings nicht in die Gedankengänge Gottes vor, sie beließ es bei der Besprechung der Ausstellung "Contemporary Muslim Fashion" im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst.
Schröter gestand, dass der Anblick der islamischen Mode "unzweifelhaft einen ästhetischen Genuss darstellt, einen Genuss allerdings, der das darunterliegende repressive Korsett im wahrsten Sinne des Wortes verschleiert."
Denn, so Schröter:
"Wenn Gott den Frauen die Bedeckung von Kopf und Körper verordnet hat, dann verstößt jede Muslimin, die kein Kopftuch trägt, gegen diese Vorschrift. Wenn diese Vorschrift zusätzlich mit Vorstellungen von Ehrbarkeit begründet wird, dann sind wir bei der sattsam bekannten Dichotomie zwischen schamhaften und schamlosen Frauen, zwischen gottesfürchtigen und ungläubigen […]. Auch in einer freien Gesellschaft wie der unsrigen ziehen solche Zuschreibungen erhebliche Repressionen für muslimische Frauen und Mädchen nach sich."
Susanne Schröter in der FAZ.
Dieselbe Ausstellung völlig anders deutete Barbara Vinken. Die Literaturwissenschaftlerin erklärte in der Wochenzeitung DIE ZEIT:
"Die [jungen islamischen] Frauen […] stehen nicht in der aristokratischen Tradition der frivolen Entblößung. Sie kämpfen nicht darum, ihre BHs zu verbrennen, wie die 68er-Generation; sie kämpfen um das Recht, sich in der öffentlichen Sphäre bedecken, verhüllen zu dürfen. Eine Frau, die sich in einen modischen Schleier hüllt, bekennt Farbe: Sie outet sich in einer oft islamophoben Gesellschaft als Muslima – und fühlt dieser Gesellschaft auf den Zahn, ob sie sich eigentlich an ihre eigenen Werte hält oder die Frau zur 'Freiheit', sprich zur Entblößung zwingt"…
Konstatierte Barbara Vinken in der ZEIT.
"Die offene Gesellschaft ist ein Sonderfall" – behauptete in der Tageszeitung DIE WELT die Autorin Thea Dorn. Und mokierte sich darüber, dass sich hierzulande alle möglichen Leute andauernd von irgendwem oder irgendwas beleidigt fühlen
"Es entsteht eine tendenziell paranoide Atmosphäre [so Dorn]. Die einen richten ihren Aufmerksamkeitsfokus darauf, ob wieder irgendwo irgendwer einen Witz auf Kosten von Frauen oder einer […] Minderheit gemacht hat. Die anderen halten permanent Ausschau, ob wieder irgendwo irgendwer etwas gegen Deutschland oder die Deutschen gesagt hat. Außerdem verwischt die Grenze zwischen dem objektiv Beleidigenden und dem, was subjektiv als beleidigend empfunden wird. Natürlich lässt sich diese Grenze nicht ein für allemal fixieren […]. Dennoch müssen wir darauf bestehen, dass es diese Grenze gibt. Als Gesamtgesellschaft können wir gar nicht auf jede subjektiv-individuelle Befindlichkeit Rücksicht nehmen."
Unmissverständlich: Thea Dorn in der WELT.

Das Nachklingen des Grases

Nicht, dass die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG den Krawallzonen unserer Epoche ausweichen würde. Aber sie hat oft auch schöne Beruhigungspillen im Programm.
In der letzten Woche zum Beispiel besprach Thomas Ribi die Zürcher Ausstellung "ZuHören im Steilhang", in der es um das Handwerk des Sensens geht.
Wie es klingt, wenn beim Sensen alles stimmt, das ließ sich Ribi vom Sensenmacher Hansjörg von Känel erklären.
"‘Es muss tönen wie ein letzter Hauch‘, von Känel kann es nicht anders sagen. Wie der letzte Atemzug eines Menschen. Wenn sie gleichmässig durchs Gras gezogen werde, das Blatt gut präpariert sei und schön schneide, dann fange eine Sense an zu singen. ‚Da hört man dann nicht nur das Rauschen des Grases – es klingt sogar ein wenig nach.‘"
Das Nachklingen des Rauschens von frisch gesenstem Gras: Für uns das Feuilleton-Geräusch der Woche.
Die letzten Worte für heute entnehmen wir einer Überschrift in der ZEIT: "Abgang! Jetzt ist Schluss!"
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