Aus den Feuilletons

In Bayreuth artet eine Prügelszene aus

"Die Meistersinger von Nürnberg", Probenfoto von 2017, 3. Aufzug: Michael Volle (als Hans Sachs). Mit der Wagner-Oper werden am 25.07.2017 die Bayreuther Festspiele 2017 in Bayreuth eröffnet.
"Die Meistersinger von Nürnberg" bei den Bayreuther Festspielen 2017: Michael Volle als Hans Sachs © dpa / Enrico Nawrath / Festspiele Bayreuth
Von Arno Orzessek · 29.07.2017
Es ist wieder Festspielzeit - die Feuilletons der Zeitungen widmeten sich vergangene Woche intensiv dem Geschehen auf dem Grünen Hügel in Bayreuth. Barrie Koskys Inszenierung von Wagners "Meistersinger" zeige die Antisemitismus-Fratze des deutschen Volkes, meint etwa der "TAGESSPIEGEL".
Sommerzeit ist Festspielzeit – und natürlich wird auch in Bayreuth wieder feste gespielt.
Deshalb hielt es die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG für sinnvoll, ihr komplettes Dienstags-Feuilleton mit Zahlen, Fakten und bunten Diagrammen seltsamster Sorte, mit Landkarten, Köpfen prominenter Festspielgäste und einem Wagner-Comic zu füllen.
Man erfuhr zum Beispiel, dass Richard Wagner 14 Hunde besessen hat, darunter die Spaniel Peps und Fips und den Pudel Dreck.
Ähnlich relevant war das Diagramm "Festspieltiere", aus dem hervorging, dass im "Lohengrin" seit 2010 bereits 134 Ratten mitgespielt haben… Was sicher auch erklärt, warum Mäuse bislang keinen Pieps machen durften.
Wir haben den fünfseitigen Kotau vor dem Grünen Hügel übrigens rasch zugeblättert und in dem interessanten FAZ-Ressort "Motor und Technik" Zuflucht gesucht.

Delikat: Die "Meistersinger" waren Hitlers Liebling

Dann aber ging’s los in Bayreuth - und zwar mit den "Meistersingern von Nürnberg" unter der Regie von Barrie Kosky, was insofern delikat ist, als Hitler die "Meistersinger" zu seiner Lieblingsmusik rechnete und Kosky aus einer jüdischen Familie stammt.
Am lebhaftesten schilderte die Aufführung Christiane Peitz im Berliner TAGESSPIEGEL:
"Ein Pogrom in Bayreuth, das gab’s noch nie. Jedenfalls nicht im Festspielhaus. Barrie Kosky lässt die Prügelszene am Ende des zweiten Aufzugs vollends ausarten. Nürnbergs Bürger, angetan in Mittelalterroben, sprich: das deutsche Volk zeigt seine antisemitische Fratze und trampelt den armen Beckmesser fast zu Tode. Der setzt sich seinerseits eine ‚Stürmer-‘Judenfratze auf, hüpft, trippelt und windet sich, ein Sündenbockstanz unter den Augen der Öffentlichkeit. Und während Philippe Jordan im Graben das ansonsten ungemein feinnervige Orchester zum Tumult animiert, füllt bald dieselbe Fratze als gigantischer Kopf-Ballon die Bühne."
Weniger erfreut als die TAGESSPIEGEL-Autorin Peitz zeigte sich Christine Lemke-Matwey in der Wochenzeitung DIE ZEIT:
"Es ist verrückt: Je heftiger sich der 50-Jährige (Kosky) auf der Bühne gegen die Antisemitismus-Falle [des Stückes] wehrt, desto stärker schnappt sie zu."
Und die FAZ, die vorher – wie gesagt – per Diagramm-Exzess alle Welt von der Everest-artigen Bedeutung des Grünen Hügels überzeugen wollte, moserte über die "Meistersinger"-Inszenierung: "Kurzschließendes Blickgeplänkel".
Nun der Service für alle, die es eher ins Kino als nach Bayreuth schaffen.

Nur Rädchen im kaputten Getriebe

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG fand Tobias Kniebe Gefallen an Christopher Nolans Kriegsdrama "Dunkirk" oder Deutsch "Dünkirchen"…
"Die alte Erkenntnis ist ja wahr (...), dass Krieg vor allem die Erfahrung des einfachen Kämpfers ist, der unklaren Lage im Schiffsrumpf, der Panik im Pilotensitz einer Spitfire, wenn die Kanzel langsam voll Wasser läuft, der Verzweiflung des Schwimmers, wenn Öl auf dem Wasser brennt. Nicht mehr zu sein als ein Rädchen im längst kaputten Getriebe – dieses Gefühl ist es, dass Christopher Nolan hier sucht."
Dagegen bedauerte der WELT-Autor Felix Stephan, dass aufgrund eines tiefen Dauer-Tons im Kino zwar ständig fast alles dröhnt –
"… die Membranen (der Boxen), die Wände, die Sessel, die Knie. Nur das Gehirn eben leider nicht."
Folgerichtig titelte die WELT: "Dünkirchen im Dorf lassen".
(Bearbeitung: mkn)
Mehr zum Thema