Aus den Feuilletons

Im "Würgegriff anonymer Marktkräfte"

Von Paul Stänner · 16.02.2014
Wie verändern monopolistische Netzökonomien unser Leben? Mit dieser Frage setzt sich die FAZ kritisch auseinander. Auch das Outing der Schauspielerin Ellen Page beschäftigt die Feuilletons.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist im Netz gefangen. Sie berichtet über ein neues Buch des amerikanischen Informatikers, Künstlers und Schriftstellers Jaron Lanier. Lanier will uns aus den Fängen digitaler Großkonzerne wie Google, Facebook und dergleichen befreien. Lanier und die FAZ sehen das Individuum im "Würgegriff anonymer Marktkräfte und Technologiezwänge", ausgeliefert an den jeweils größten Server und die undurchsichtigsten Nutzungbedingungen.
Diese monopolistischen Netzökonomien arbeiten mit einer Gratiskultur, indem sie mit dem Handel treiben, was ihnen die Nutzer an privaten Daten kostenlos überlassen. Lanier möchte nun eine Art emanzipatorischer Gegenbewegung einleiten, bei der er zum Beispiel vorschlägt, dass die User ihre privaten Daten gegen Entgelt anbieten – dies ist nur einer seiner Vorschläge, von denen die FAZ sagt, dass er zu kurz gesprungen sei.
Immerhin aber erzähle Lanier von "einer Realität, die von keiner gegenkulturellen Utopie mehr beleuchtet wird". Das sieht Günter Hack in einem weiteren Beitrag ähnlich. Er fordert eine neue Science-Fiction. Seit Edward Snowdens Enthüllungen sei klar, wie sehr wir im Netz hilf- und rechtlos seien und daraus folge die Erkenntnis: "Mit Snowden ist die Digitaltechnik in ihren meisten Facetten auserzählt." Das bedeutet, die alten Geschichten, in denen sich Cyberpunks in der Heldentradition der Westernromane im Kampf gegen Menschen und Maschinen oder Maschinenmenschen beweisen mussten, erklären uns die Gegenwart nicht mehr. Wir brauchen, fordert Günter Hack, eine neue Science-Fiction und verspricht eine Aufgabe "von überwältigender Schönheit".
Retter versteckt Snowden beim Verfassungsschutz
Inspiriert malen wir uns ein "überwältigend schönes" Scenario aus, etwa so: Bedrohter Whistleblower Edward Snowden sucht Schutz vor hasserfüllten Verfolgern. Ängstliche Bundesregierung traut sich nicht, lässt armen Kerl, obwohl sie ihm viel verdankt, im Moskauer Schnee stecken. Cyberpunkiger Westernheld löscht in letzter Sekunde Daten und Spuren. Retter versteckt Snowden beim Verfassungsschutz, weil man da nie was findet. Merkel und Obama umarmen sich, als seien sie befreundet. Sonne geht unter, Abspann.
Apropos Abspann: Die Schauspielerin Ellen Page hat sich als lesbisch geoutet. Die Tageszeitung TAZ lobt sie, weil sie sich vom Druck der Filmindustrie emanzipiert habe und sorgt sich um ihre Karriere. "Es wird spannend sein zu beobachten", schreibt die TAZ, "ob sie weiterhin erfolgreich sein wird". Wenn die Page also nicht mehr für spannende Filme besetzt wird, kann die TAZ wenigstens den Thriller ihrer Biografie genießen.
Dem Trend zum Outing in Fußball und Film entzieht sich der Netzriese Facebook, indem er neben den beiden konventionellen Geschlechtern sage und schreibe 56 weitere Wahlmöglichkeiten für die sexuelle Beschaffenheit oder Orientierung anbietet. Die WELT dekliniert sehr sorgfältig durch, wie wir uns in Zukunft das Leben gendergerecht schwer machen können und schreibt so ein sehr witziges Kapitel Cyber-Science-Fiction.
"Doppelt so schnell und doppelt so laut"
Keine 58 Optionen brauchen nach einer Satire von Carl von Siemens die Schweizer. Sie hassen allein die Deutschen. Zitat: "Im Dezember fällt Schnee. Dann ertönt unweigerlich, von Frost und Sturmwind begleitet, am Skilift der Schrei eines Bielefelder Weibs." Besagtes "Bielefelder Weib" scheint die Urangst der Schweizer zu sein. Zitat: "Sie blökt in ihrer Sprache, die für den Eidgenossen eine Zweitsprache darstellt, doppelt so schnell und doppelt so laut." Von Siemens wollte wohl Deutsche und Schweizer synchron durch den Schneematsch ziehen, hat aber nur eine plumpe Hasstirade zustande gebracht.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wird von einer Feier zur Restaurierung von Ludwig Börnes Grabmal in Paris berichtet. Bei der Gelegenheit wird auf Heines Diktum verwiesen, der Schriftsteller Börne sei zwar kein Talent, aber ein Charakter. Dann habe der Pariser Germanist Michael Werner gesagt, starke Charaktere seien heute, wo das Regieren eine Kunst der unverfänglichen Worte geworden sei, vielleicht wertvoller als Talente. Das kann man wohl als einen starken Hinweis ins Netz stellen.