Aus den Feuilletons

Im Plattenschrank warten die alten Scheiben

Von Max Steinbeis · 28.04.2014
Bedeutet die Erkrankung von AC/DC-Gründungsmitglied Malcolm Young das Ende der Gruppe? Das glaubt jedenfalls die FAZ. In der "Süddeutschen" ehrt Salman Rushdie seinen verstorbenen Schriftstellerkollegen Gabriel García Márquez.
Schmutz. Geben wir's ruhig zu: Wir stehen drauf. Die Abscheu- und Ekelsgeste, die in dem Wort Schmutz steckt, sie ist gespielt und getürkt und gar nicht echt, schon gar nicht bei uns feinbeinigen Feuilletonisten, wir mögen es hart und dreckig und freuen uns deshalb von ganzer Seele über Edo Reents, der in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zu der nach der Erkrankung ihres Anführers Malcolm Young vor dem Ende stehenden Hardrock-Band AC/DC folgende Worte findet:
"... diese muskulösen, treibenden Riffs kommen einem immer vor, als wären sie mit Fingern aus Stahl gespielt, und entbehren dabei nicht einer ganz spezifischen, aufsässigen Hitze, die mehr an unterprivilegierte Kellerkinder denken lässt als an in die Jahre gekommene Musikermillionäre. Es ist, mit anderen Worten, selbst in seiner poliertesten Form noch Klang gewordener Schmutz."

Das Tolle daran, so der FAZ-Kritiker:
"Niemand unter den Musikern hat je versucht, auch nur Spurenelemente von Intellektualität vorzutäuschen."
Das wiederum würde von Joachim Güntner niemand behaupten wollen, und doch zeigt auch der Autor der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG an diesem Tag, dass er mit Schmutz viel anzufangen weiß: Das "Bargeld" ist sein Thema, genauer dessen bevorstehendes Verschwinden und Ersetztwerden durch klinisch reines, stäubchenfreies elektronisches Geld.
"Dreitausend Typen von Bakterien",
schreibt Güntner mit wohligem Schaudern, hätten Forscher auf Dollarscheinen gefunden.
Neben den üblichen Kolibakterien, Grippeviren und Salmonellen fanden sie Erreger für Akne, Lungenentzündungen, Magengeschwüre, Diphtherie und anderes mehr.
Doch was passiert, wenn wir nur noch kontaktlos bezahlen?
"Der Preis," so Güntner, ist, wieder einmal, dass wir als Kunde gläserner werden. ( ... ) Dass wir als Vernetzte nicht nur Nutznießer, sondern auch Gefangene des Netzes sind, vergisst man gern."
Doch NZZ-Autor Güntner erinnert uns Gott sei dank daran und bekennt zuletzt, dass
"man kein Krimineller sein muss, um den schmutzigen Scheinen und Münzen noch ein langes Dasein zu wünschen."
Wenn Klaus von Dohnanyi etwas nicht ist, dann schmutzig. Der Ex-Bürgermeister von Hamburg, den ein böser Mensch einmal das Einstecktüchlein der SPD genannt hat, wiegt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG sein silbernes Haupt ob der Ukraine-Krise.
Die Annexion der Krim, so sehr er sie "illegal" und "gefährlich" nennt, kann er aus"russischer Gefühlslage ( ... ) verstehen," und zu Putin, den man gewiss nicht als "lupenreinen Demokraten" bezeichnen könne, stellt er sich die Frage:
"Würde er es vielleicht gern sein, wenn auch Russland es schon sein könnte?"
Für jeden Vorwurf, den man Putin machen könnte, hat Dohnanyi einen gegen die USA parat, und wo es "Putin-Versteher" gebe, da gebe es auch "Obama-Versteher".
Das Gegengift findet sich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, und zwar aus der Feder des Schriftstellers Hans-Christoph Buch. Der hat den russischen Reisebericht des Marquis de Custine aus dem Jahr 1839 zur Hand genommen und eine Passage gefunden, die er so einleitet:
"Es genügt, im folgenden Zitat das Wort Polen durch Ukraine zu ersetzen, damit Custines Text seine ungebrochene Aktualität offenbart: 'Russland sieht in Europa eine reiche Beute, die ihm früher oder später aufgrund innerer Zwistigkeiten zufallen wird. Es schürt die Anarchie in der Hoffnung, von der Korruption zu profitieren, die Russland begünstigt und seinen Absichten entgegenkommt. Europa, sagt man in Petersburg, geht den Weg Polens, denn es ist durch seinen Liberalismus geschwächt, während Russland stark bleibt, weil es nicht frei ist und andere dafür büßen lässt, dass es geduldig sein Joch trägt.'"
Zuletzt wollen wir für Liebhaber des magischen Realismus noch kurz den Hinweis loswerden, dass sie in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG einen besonderen Leckerbissen finden werden, nämlich eine Dreiviertelseite, die kein Geringerer als Salman Rushdie über keinen Geringeren als Gabriel García Márquez vollgeschrieben hat.
Die Zeit reicht nur noch, dem Schlusssatz zu zitieren:
"Er war der Größte von uns allen."
Und jetzt ab zum Plattenschrank, wo die alten AC/DC-Scheiben warten.