"Ich verstand erstmals Wladimir Putin"
Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit einem Gewaltaufruf, mit der Krim-Krise und mit Martin Heidegger.
"Ratatataschlitzschredderpengpeng", schreibt die Berliner TAGESZEITUNG. Dass dieses journalistische Sammelbecken schnuckeliger Revolutionäre mit der Mitmachkolumne "Leser töten Wörter" zur Gewalt aufruft, wundert wenig. "Das hat mich total aufgeregt", schreibt TAZ-Leser und –Kämpfer Hendrik Flöting über das Wörtchen "hat", "und da hat das 'hat' ein 'e' ranbekommen und wurde zum 'hate'. [ ... ] Bin irgendwann voller Wut mit einem Messer auf das 'hate' losgegangen, war eher eine Machete, hat aber gewirkt." Mord mit Machete in der TAZ: na ja.
Aber dann das: eine weitere Machete, in den Händen von Nils Minkmar von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Der Feuilletonchef beteuert seine Unschuld: "Bestellt hatte ich ein kleines Taschenmesser für die Ferien, und geliefert wurde eine heftige Machete der Firma Walther, bekannt als Hersteller der James-Bond-Dienstwaffe." Zurückgeben? Darauf kam Minkmar gar nicht. Ganz im Gegenteil: "Gestern war ich damit im Garten und sofort verzaubert. Schon der Schatten der Klinge genügt, und alle Gewächse fallen geschockt zu Boden. Ich fühlte mich erleuchtet und sah kurzfristig in Walther eine Alternative zu Habermas: Statt der mühsamen – und oft so lauten – kommunikativen Handlung konnte man die Widersacher auch schnell zu Carpaccio verarbeiten."
Macheten sind an deutschen Philosophischen Seminaren, an denen Martin Heidegger gelesen wird, strengstens verboten. Während Japaner Heideggers Werke gern als Wichsvorlage gebrauchen, löst die Lektüre dieses denkenden Waldgängers bei vielen deutschen Studenten unkalkulierbare Aggressionsschübe aus. An einem Zitat Heideggers, das Thomas Meyer in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG anführt, lässt sich das hübsch nachvollziehen: "Das Höchste, was zu sagen sein muss, muss ein Äußerstes von Verschweigung werden. Die Verschweigung eigentlich als Erschweigung. Aber ist die Logik der Erschweigung denn nicht der Verrat von allem und des Nichts? Gewiss – wenn sie wie die bisherige Logik 'gelesen' und befolgt würde." Das sei nicht nur auf den ersten Blick, sondern überhaupt unverständlich, beruhigt Thomas Meyer den Leser anlässlich der nun erschienenen "Schwarzen Hefte" Heideggers, der Tagebuchnotizen aus den 30er- und 40er-Jahren.
Wer einmal den "Heideggerschen Spiegelsaal" betreten habe, müsse sich entscheiden: "Entweder man rennt hinaus, weil man das Ganze sowieso für Blödsinn hält – es sind bei Weitem nicht die Dümmsten, die das getan haben. Oder man läuft mit Heidegger durchs selbst entworfene Labyrinth, gelangt vielleicht zur 'Lichtung', wenn sich das 'Seyn' denn einmal wieder zeigen sollte, nachdem es zuletzt Hölderlin erschienen war [ ... ]". Der SZ-Rezensent hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden, analysiert Heideggers Äußerungen zum Nationalsozialismus und Judentum, macht eine "Selbstüberhöhung des Denkens ins Totalitäre" aus und wirbt für eine genauere Analyse von Heideggers Werken: "Eine erste Prüfung kann sich aber im Moment kaum dem Fazit entziehen, dass Heidegger das Denken entscheidend geschwächt hat."
Stark muss man sein. "Man weicht nicht, beugt sich nicht." So wurde der Slowake Jan Mojto erzogen. Das erzählt er in der WELT. Die Krim-Krise erinnert den heutigen Fernsehproduzenten an den Prager Frühling und dessen Niederschlagung, die er selbst miterlebte, die ihn gerade nicht dazu veranlasste, sein Land zu verlassen, die ihn aber, wie überhaupt seine Landsleute, überraschte. "Der Drang nach Freiheit hatte uns blind gemacht", sagt Jan Mojto. Ähnlich müsse es den Ukrainern ergangen sein, die auch nicht mit der russischen Invasion gerechnet hätten. "Begnügt sich Putin mit der Krim?", fragt die WELT. "Sie reicht ihm sicher nicht", antwortet Mojto. "Ich hoffe aber: ja. Wir im Westen wissen viel zu wenig über dieses Mitteleuropa."
Nils Minkmar von der FAZ weiß da mehr: Macheten machen klug. Mit einer solchen, pure Männlichkeit spendenden Waffe fand der Feuilletonchef in seinem Garten geradezu eine Heideggersche "Lichtung": "Was so vielen Texten nicht gelang, das vermochte nun ein Gerät: Ich verstand erstmals Wladimir Putin."