Aus den Feuilletons

"Ich habe das Gefühl, unsere Welt verwandelt sich in eine Psychiatrie"

Schriftsteller Abbas Khider präsentiert sein Buch "Brief in die Auberginenrepublik" im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2013
Der Schriftsteller Abbas Khider © imago/STAR-MEDIA
Von Tobias Wenzel · 04.02.2017
Als absurd und lächerlich bezeichnet Schriftsteller Abbas Khider das von Trump gewünschte Einreiseverbot für Muslime in der "Welt". Der US-Präsident verwechsele Schiiten mit Sunniten. Das sei, als habe man ein Problem mit Katholiken und schimpfe auf die Protestanten.
"Wird es irgendwann von Philip Glass eine Oper über Donald Trump geben?", fragte Michael Struck-Schloen in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den amerikanischen Komponisten zu dessen 80. Geburtstag.
"Oh nein, verkrachte Persönlichkeiten interessieren mich nicht. Und er ist eine, dafür ist mir die Zeit zu schade. Tut mir leid, falls Sie ein Freund von ihm sind."
Anfreunden musste man sich in der zweiten Amtswoche des neuen Präsidenten damit, dass es überall in den Feuilletons nur so trumpte, selbst dort, wo man es nun wirklich nicht erwartet hatte.
Michael Hanfeld von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG behauptete, der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, rede wie Trump. Und Doris Akrap von der TAZ versuchte, Schulz, in Anspielung auf den Ort, in dem er einmal Bürgermeister war, einzuflüstern:
"Make Würselen great again!"
Hans-Georg Rodek sah in der WELT den Animationsfilm "Findet Dorie" in ganz neuem Licht: Dorie, ein weiblicher Fisch, habe sich von der Strömung aus mexikanischen Gewässern in kalifornische treiben lassen und sei dort gefangen genommen worden, "schließlich, würde Donald Trump den Vorgang rechtfertigen, hat sie die Grenze von Mexiko aus illegal übertreten (genauer: überschwommen)", schrieb Rodek und erwähnte das alles, weil eben dieser Film der erste war, der nach dem Amtsantritt Trumps offiziell im Weißen Haus gezeigt wurde.

Dave Eggers vergleicht Trump mit unberechenbarem Kind

"Jetzt haben wir ihn am Hals", schreibt der amerikanische Schriftsteller Louis Begley in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG über Trump. 'Jetzt haben wir ihn im Hirn', hätten die Macher und Leser der Feuilletons dieser Woche sagen können. Aber warum eigentlich nicht, wenn es zu klugen Analysen anregt?
"Auf lange Sicht hat keine Mauer es je geschafft, Menschen in ihrem Elan, sie zu überwinden, aufzuhalten. Doch die Mauern waren der perfekte Vorwand für Morde, Menschenrechtsverletzungen, Schikanen und Deportationen ohne Ende",
schrieb der mexikanische Schriftsteller Jorge Volpi in der WELT mit Blick auf Trumps Ankündigung, die Mauer an der Grenze zu Mexiko tatsächlich zu bauen.
"Weder ist Trump Hitler, noch sind die USA des 21. Jahrhunderts der Weimarer Republik gleichzusetzen, doch der Keim des Totalitarismus liegt hier: in der demokratischen Wahl eines zutiefst überzeugten Antidemokraten."
Trump sei unberechenbar, ein "Kind, das vor einem Fahrstuhl" stehe "und alle Knöpfe" drücke, analysiert der amerikanische Autor Dave Eggers im neuen SPIEGEL.
"Was wir jetzt von Trump sehen, ist das komplette autoritäre Drehbuch."
Das erinnere ihn an "Das ist bei uns nicht möglich", den Roman von Sinclair Lewis aus dem Jahr 1935.
Dasselbe Buch erwähnte Adrian Daub, ein Literaturwissenschaftler von der Stanford University, am Ende seines Artikels für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Daubs Beitrag war aber einem anderen Roman gewidmet.
"Sind die USA von 2017 die Verwirklichung der Gesellschaft von 1984, wie sie George Orwell vor bald hundert Jahren skizzierte?", fragte Daub und ergänzte: "Viele scheinen dies zu glauben." Das würde erklären, warum "1984" gerade das am meisten verkaufte Buch beim Online-Händler Amazon ist.

Analogien und Unterschiede zu Orwell

Ja, urteilt der Literaturwissenschaftler, es gebe ein paar Analogien. Zum Beispiel habe Orwell erkannt, "dass Lügen so häufig wiederholt werden können, bis sie sich durchsetzen". Aber es gebe auch deutliche Unterschiede zwischen 2017 und "1984". So habe Orwell sich nicht die "Schadenfreude" und den "grenzenlosen Zynismus" von Trump und dessen Anhängern vorstellen können.
Im Roman "1984" werde den Menschen außerdem "Unwahrheit als Wahrheit aufgezwungen". Im Jahr 2017 werde dagegen "jedwede Wahrheit als unwahr verkauft". Orwell habe daran geglaubt, dass letztlich die Wahrheit "Sprengkraft entfalten" könne. Anders 2017:
"Hat sich an Trump nicht ein beispielloses Pathos der Demaskierung ausgetobt?", fragte Adrian Daub rhetorisch in der NEUEN ZÜRCHER. "Und hat ihm je eine Entlarvung geschadet?"
Als "das Absurdeste und Lächerlichste, was die Weltpolitik je erlebt" habe, bezeichnete der im Irak geborene und dort noch unter Saddam Hussein gefolterte Schriftsteller Abbas Khider in der WELT das von Trump verhängte Einreiseverbot für Menschen aus sieben vorwiegend muslimischen Ländern, darunter Iran, Irak und Jemen. Das seien schiitische Staaten.
"Aber die Terroristen wie al-Qaida, Isis und viele andere Gruppen sind sunnitische Organisationen. […] Wenn man ein Problem mit den Katholiken hat, soll man dann auf die Protestanten schimpfen?", fragte Khider. "Ich habe das Gefühl, unsere Welt verwandelt sich in eine Psychiatrie, in der zahlreiche Patienten sitzen, die glauben, sie selbst wären die Psychiater."
Bevor wir alle noch vollkommen meschugge werden bei den Wirklichkeit gewordenen trumpomanen Dystopien, verlassen wir lieber schnell die Psychiatrie und begeben uns zum Schluss mit Marion Löhndorf an einen befreiend verstörenden Ort: in die Londoner U-Bahn. Dort hat die Autorin für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG offiziell aussehende, aber in Wirklichkeit von Scherzbolden angebrachte Schilder entdeckt. Auf einem habe gestanden, man solle die besten Sitzplätze Fahrgästen anbieten, die so betrunken seien, dass sie nicht mehr stehen könnten. Der Text eines anderen Schildes: "Kein Augenkontakt. Sonst 200 Pfund Strafe".
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