Aus den Feuilletons

Houellebecq – der einsame Autor

Der französische Autor Michel Houellebecq (2.v.l.) stellt auf der Lit.Cologne seinen Roman "Unterwerfung" vor - neben ihm sitzt der Moderator Nils Minkmar (3.v.l.)
Michel Houellebecq (2.v.l.) stellt auf der Lit.Cologne seinen Roman "Unterwerfung" vor - neben ihm sitzt der Moderator Nils Minkmar (3.v.l.). © Imago / Horst Galuschka
Von Hans von Trotha · 20.01.2015
Den Auftritt von Michel Houellebecq bei der lit.Cologne moderierte der Journalist Nils Minkmar. In der "FAZ" darf er erzählen, wie es war: Man komme kaum an den Starautor heran, auch wenn man sich direkt vor ihm befinde, schreibt er.
"Man darf ein islamophobes Buch schreiben",
sagt Michel Houellebecq in Köln, und die BERLINER ZEITUNG setzt es als Überschrift über den Bericht von Martin Oehlen, in dem man liest:
"'Eine Bombe' sei der Auftakt der 15. lit.Cologne – so hieß es bei den Veranstaltern, als sie im Dezember das Programm bekannt gaben. 'Eine Bombe' würde diese Veranstaltung heute niemand mehr nennen. Houellebecqs erster öffentlicher Auftritt aber war ein Ereignis."
Das scheint auch für die Sicherheitsvorkehrungen zu gelten: "Eine bizarre Situation", findet Oehlen,
"wenn man bedenkt, dass der neue Roman alles andere als islamfeindlich ist."
Wie sicher es da zuging, bekommen wir in der FAZ aus erster Hand vermittelt, denn Nils Minkmar von der FAZ durfte den französischen Starautor in Köln nicht nur moderieren, sondern er darf jetzt auch noch erzählen, wie das war:
"Beinahe wären wir gar nicht zu ihm gekommen, weil die Sicherheit eine letzte Tür bewachte und niemanden mehr rein- oder rauslassen wollte. Dass es keine Veranstaltung geben kann, wenn der Autor allein bleibt, ist zunächst nicht ihr Problem, denn ein einsamer Autor ist immer noch sicher. Doch",
fährt Minkmar in Anbetracht der Melancholie des Autors - aber wohl auch ein bisschen der eigenen - fort,
"die Sicherheit bildet nur einen der Kreise, durch die hindurch muss, wer zum meist diskutierten Schriftsteller dieser Tage möchte. Der andere liegt um ihn herum, man weiß einfach nicht, wo er jeweils ist, auch wenn man direkt vor ihm steht."
Ein wirklicher Freigeist
Das meint wohl Joachim Güntner, wenn er in der NZZ vermerkt:
"Ein wirklicher Freigeist, in seiner Art ebenso unverfroren wie entwaffnend, schnörkellos und radikal und nie eifernd, sondern leicht amüsiert. Dazu eine sympathische, ruhige Stimme. Nils Minkmar gelang es nie, Houellebecq aus der Reserve zu locken."
Das hat Minkmar selbst bemerkt:
"Ich hätte", schreibt er,
"meine Fragen für unser Podiumsgespräch in der Tasche lassen können. Er würde jedes Mal antworten, dass die Leute doch machen sollen, was sie wollen. Er übt seine Verantwortung als Schriftsteller aus, indem er sie verweigert."
Ganz in diesem Sinne titelt die NZZ:
"Ohne Verantwortung schreibt es sich am besten."
Die Verantwortung des Schriftstellers
Die Frage nach der Verantwortung des Schriftstellers aber ist so alt wie das Schreiben. Harald Jähner erinnert in der BERLINER ZEITUNG an einen Dichter der - Zitat: "danach begehrte, nicht Schuld zu sein".
"Sanft, düster und sehr konservativ" findet Jähner Matthias Claudius, der vor 200 Jahren starb. Vielleicht wird er deswegen sonst nur von der WELT geehrt, allerdings auf fast schon ehrenrührige Weise.
"Die deutsche Mondlandung" heißt der Text in Anspielung an das berühmteste Gedicht nicht nur von Matthias Claudius sondern der deutschen Sprache überhaupt: "Der Mond ist aufgegangen".
"Auch 200 Jahre nach seinem Tod schlägt Matthias Claudius als Dichter noch alle nach Punkten",
schreibt Jens Reichwein. Das klingt nach Helene Fischer - und ist dann auch noch so gemeint: "Bei Claudius", traut sich Reichwein zu schreiben,
"geht es nicht atemlos durch die Nacht wie bei der Schlagersängerin Helene Fischer, vielmehr lässt er einen ganz schön schlottern, mit seiner metaphysischen Unruhe."
Eine 1900 entstandene Profil-Silhouette des Dichters und Schriftstellers Matthias Claudius.
Eine Profil-Silhouette des Dichters und Schriftstellers Matthias Claudius.© Imago
Am Würdigsten gedenkt man eines Dichters eh, indem man ein Gedicht abdruckt. Die BERLINER ZEITUNG hat sich gegen "Der Mond ist aufgegangen" und für das eindringliche "Kriegslied" entschieden.
's ist Krieg! 's ist Krieg!
O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
's ist leider Krieg –
und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
"Das Kriegslied'", schreibt Jähner,
"ist ein ungemütlicher Text. Das Lied spart nicht mit drastischen Albtraumbildern, mit erschlagenen Untoten, im Dreck Dahinsterbenden und auf einer Leiche herumsitzenden Plagegeistern. Es ist ein Gedicht, dass die Frage nach der Verantwortung auch jener stellt, die sich sicher sind, sie hätten in ihrer privaten Nische mit all dem nichts zu tun. Schuldlosigkeit als vergebliches Begehren."
Dabei aast Matthias Claudius in beiden Gedichten auffällig mit Ausrufezeichen – Zeichen des Aufbegehrens gegen die Verantwortung, die sich in den von ihm erdachten Bildern aufdrängt.
Ungemütlicher Text über Guantanamo
Ein anderen "ungemütlichen" Text würdigt Arno Widmann – unter Einsatz zahlreicher Ausrufezeichen - in derselben BERLINER ZEITUNG: das Guantanamo-Tagebuch von Mohamedou Ould Slahi. Der, so Widmann,
"ist frei von Bitterkeit, keine Wut, nicht einmal Kälte. Er erzählt, wie er sich freute, auf dem Weg in und von den Verhören, die Sonne zu sehen. Wie sie ihn tröstete, wie ihm der Glaube an seinen Gott aus der zerstörerischen Gewalt von Wut und Hass hilft. Im Leser aber steigt die Wut. Er muss raus!",
ruft Widmann aus – und:
"Er muss mindestens einen ordentlichen Prozess kriegen. Das verdammte Guantanamo muss dicht gemacht werden. Sofort! Wie hilflos man ist! Nichts als Ausrufezeichen und keine Tat."
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