Aus den Feuilletons

Horror-Clowns und rätselhafter Pianist

Clown-Protest beim NATO-Gipfel 2009 in Frankreich
Clown-Protest in Frankreich © dpa / picture alliance / Boris Roessler
05.11.2014
Die "Zeit" macht auf einen europaweiten Trend aufmerksam: durch Innenstädte streunende, grinsende Clowns, manche mit Waffenattrappen. Und die "SZ" versucht das Geheimnis des unbekannten Pianisten Igor Kamenz zu enthüllen.
Dämonische Clowns. Ein mit Preisen überhäufter Pianist, den keiner kennt. Und ein Staatsanwalt, den es nie gab oder wenn doch, dann gleich zweimal. Viele Rätsel gibt uns das Feuilleton an diesem Tag auf, und das ist gut, denn das vertreibt die Langeweile, und ein Feuilleton, dem das gelingt, macht bestimmt nicht alles falsch.
"Erst Zombies, nun Horror-Clowns. Obskure Gestalten geistern durch Europas Städte",
warnt uns Thomas Assheuer in der ZEIT. Erst in England, dann in Frankreich, auch in der Schweiz, in Spanien und in Deutschland tauchen sie immer häufiger auf, rätselhafte Clowns, sie
"streunen durch Fußgängerzonen, einige tragen Waffenattrappen, andere stehen an Straßenecken wie stumme dämonische Zeichen. Ihr Grinsen ist nicht heiter; es ist oft höhnisch und bösartig."
Clown entsichert Ängste, die schon da sind
Was es damit auf sich hat? Der ZEIT-Autor deutet das Phänomen als ein Stück praktizierter Verschwörungstheorie:
"Die Macht redet nicht. Sie grinst. Der dämonische Clown grinst zurück, mehr nicht. (…) Er steht einfach nur sinnlos in der Stadt herum wie ein leerer, einsamer Signifikant. Das Unbehagen, das er dabei auslöst, entsteht erst im Auge des Betrachters, denn wie der Zombie, so erzeugt der Clown die Ängste der Menschen nicht; er entsichert sie bloß – die Ängste sind längst da."
Geteiltes Echos auf Verfilmung des Auschwitzprozesses
Das Kino ist immer der richtige Ort, um vor dämonischen Clowns in der Fußgängerzone Zuflucht zu suchen, denn die Clowns, die man dort zu sehen bekommt, gibt es ja gar nicht in echt. In dem neuen Film "Im Labyrinth des Schweigens" gibt es überhaupt keine – Dämonen dafür umso mehr, denn es geht dort um den Frankfurter Auschwitzprozess und seine Vorgeschichte, und die gab es sehr wohl in echt. Wie gelingt die historische Rekonstruktion im Kinoformat? Gut, findet Björn Hayer in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:
"Ohne eine moralische Verurteilung vorzunehmen, seziert das Werk mit Feingespür die Mentalität Adenauer-Deutschlands."
Nicht so gut, meint dagegen Verena Lueken in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
"Der Film ist minutiös recherchiert und skrupulös seinem Gegenstand gegenüber",
räumt die FAZ-Kritikerin ein.
"Aber das Kinoformat der Erfolgsgeschichte (das auch ein Fernsehformat ist) ist nun mal ein Klischee, und die Geschichte ist es nicht."
Die TAZ wiederum fragt direkt bei der Geschichte nach und interviewt den ehemaligen Frankfurter Staatsanwalt Gerhard Wiese, einer von zwei realen Vorbildern für den fiktiven Protagonisten des Films Johann Radmann.
"So wie diese Rolle angelegt ist, haben wir nicht gearbeitet",
gibt der Zeitzeuge zur Auskunft, ist mit dem Ergebnis aber trotzdem tief zufrieden:
"Der Film ist vorzüglich, er hat mir sehr gut gefallen."
Das Rätsel um einen unbekannten Pianisten
Unsere Lieblingsgeschichte an diesem Feuilletontag steht aber in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Die räumt ihrem Konzertkritiker Helmut Mauró die ganze Aufmacherseite frei für eine wahrhaft unglaubliche Geschichte, die Geschichte von Igor Kamenz nämlich. Wer ist Igor Kamenz? Das ist genau die Frage. Igor Kamenz ist ein russischer Konzertpianist, so Mauró,
"ein wirklich guter Pianist, technisch perfekt, von prägnanter Ausdruckskraft. Er absolvierte aber vor allem unfassbare sechzig Wettbewerbe, und ging dabei nie ohne Auszeichnung nach Hause."
Und trotzdem ist der Mann selbst Klassikfans vollkommen unbekannt. Die Begegnung mit Igor Kamenz, mit seiner Kunst, mit seiner bizarren Biografie, mit seiner Ortlosigkeit im globalen Konzert- und Aufnahmebetrieb und vor allem mit seiner pianistischen Sensibilität hat den SZ-Autor offenbar tief berührt, und diese Anrührung teilt sich dem Leser mit.
"Wie das biedermeierlich verbrämte Grauen unterschwellig heranschleicht in seinem Spiel, und wie er freundlich lächelnd von seinem grauenvoll verkorksten Künstlerleben erzählt, das kann ein Regisseur nicht genialer erfinden, schreibt Mauró. Aber irgendwann erlischt in seinem Spiel auch die kindliche Fröhlichkeit, Kamenz findet einen ganz anderen Ton, eine düstere Distanz, eine stille Verzweiflung über die Grenzen dessen, was diese Musik sein kann."
Das Rätsel Igor Kamenz, Mauró kann es nicht lösen, er versucht es gar nicht erst, und wir sind ihm dankbar dafür.
"Was für ein verrückter, unbeholfener, verwundbarer Mensch."
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