Aus den Feuilletons

Hetero-Kitsch für alle!

Hochzeitstorte mit zwei Frauenfiguren
Die bürgerliche Heirat sei eine "Kitschorgie", schrieb Tilman Krause in der "Welt". © AFP / Gabriel Bouys
Von Burkhard Müller-Ullrich · 30.05.2015
Die Reaktionen auf das irische Votum für die Homo-Ehe füllten die Feuilletons der Woche: große Zustimmung aller Orten. Nur Tilmann Krause in der "Welt" fragte sich: Was ist so toll daran, den "faulen Budenzauber" der Heteros zu übernehmen?
Es ist schon etwas mehr als eine Woche her, dass in Irland die Homo-Ehe per Volksabstimmung erlaubt wurde, und die Reaktionen darauf füllten mehr Zeitungsseiten als irgendein anderes Thema. Selbstverständlich gab es nur zustimmende Reaktionen – bis auf die des querköpfigen WELT-Feuilletonisten Tilman Krause, der aus seiner Homosexualität nie einen Hehl macht und es einfach für unwürdig hält, dass die Homosexuellen unbedingt die bürgerliche Heirat anstreben:
"Diese Kitschorgie",
schrieb er,
"die einem bei jedem zweiten Heteropaar wie fauler Budenzauber vorkommt, wollen wir jetzt kopieren?"
Genau diesen Aspekt der Spießigkeit benutzte Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, um den Widerstand der katholischen Kirche gegen die Homo-Ehe ad absurdum zu führen:
"Woher kommt ihr Hass gegen die weltliche, ganz bürgerlich-konservative Ordnung solcher Verbindungen samt ihren Verpflichtungen, ihrem Alltag, der nicht weniger steinig-schön und herausfordernd ist als bei heterosexuellen Paaren? Warum, in einem Wort, ist die Kirche so sexbesessen?"
Besessen ist allerdings nicht bloß die Kirche, sondern auch viele Propagandisten der Homo-Ehe sind es. Das hat Andreas Platthaus von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG festgestellt, da jeder, der sich gegen Homosexualität ausspricht, heutzutage unversehens zur Unperson wird.
"Ich sehe die Gefahr",
schrieb Platthaus,
"dass sich Geschichte wiederholt und aus ehemaligen Opfern von sozialer Ächtung nun deren Befürworter werden."
Wie aus einer Position ihr Gegenteil wird oder wie zwei Dinge, die eigentlich das gleiche sind, einander konterkarieren, das erörterte Andreas Zielcke am Beispiel von Homo-Ehe und Abtreibung in der SÜDDEUTSCHEN. Denn es ist schon seltsam: In Irland ist die Homo-Ehe zwar erlaubt, aber Abtreibung streng verboten, während die Rechtslage in anderen Ländern genau umgekehrt ist.
"Was ist denn nun liberal, was illiberal, was progressiv?"
Fragte Zielcke und gab folgende Antwort:
"Die Liberalisierung der Homosexualität ist ein Befreiungsakt ohne Opfer, die Liberalisierung der Abtreibung ist eine Parteinahme zulasten eines (ungeborenen) Dritten. Die eine neutralisiert die Sexualmoral, die andere neutralisiert das Lebensrecht des Fötus – deshalb die meist rigide Beschränkung der Abtreibungsfreiheit auf die ersten Wochen nach der Empfängnis. Im Grunde ist das Abtreibungsrecht gar kein Ausdruck von Liberalisierung, sondern des Entscheidungszwangs in einem persönlichen Notstand."
Aufregung um Philosophen Peter Singer
Eine Parteinahme zulasten eines ungeborenen Dritten, wie der Jurist Zielcke es so hübsch ausdrückte, und nicht nur eines ungeborenen, müßte man ergänzen, stand zu Pfingsten in der Neuen Zürcher Zeitung und löste Mitte der Woche einen Skandal in Köln aus. Die NZZ hatte nämlich den australischen Philosophen Peter Singer interviewt, der seit Jahren behinderten Babys das Lebensrecht abspricht, aber für Menschenaffen Menschenrechte fordert. Für seinen Einsatz zugunsten der Tierleidminderung bekam er in Berlin gerade den lustigerweise nach ihm selbst benannten "Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleidminderung". In Köln hätte er hernach beim Philosophiefestival phil.Cologne einen Vortrag über die vegane Zukunft der Menschheit halten sollen. Doch die Veranstalter bekamen kalte Füße, nachdem sie das NZZ-Interview gelesen hatten, und sagten Singers Auftritt ab.
Das grenze an Zensur, fanden die feuilletonistischen Verteidiger der guten alten Redefreiheit. Michael Stallknecht schlug zum Beispiel in der SÜDDEUTSCHEN vor:
"Denkbar gewesen wäre in der Tat die Umwandlung der geplanten Veranstaltung in eine Podiumsdikussion."
Und Andreas Rossmann schrieb in der FAZ:
"Ihn einzuladen, um ihn dann kurzfristig wieder auszuladen, zeugt von mehr als nur schlechtem Stil, kapituliert man doch hasenherzig vor einer kritischen Auseinandersetzung, die ein "Internationales Philosophiefest", das die Meisterdenker in Mannschaftsstärke auffährt, sich zutrauen und bestehen können müsste."
Andrian Kreye unternahm es derweil, wiederum in der SÜDDEUTSCHEN, einem wohl imaginären Leser namens Singer die europäischen Verhältnisse zu erklären:
"Auf einem Kontinent, auf dem Eugenik und Euthanasie als Instrumente des Holocaust unschätzbar viele Tote gefordert haben, sind sie als philosophisches Spielmaterial heikler als in Amerika, wo der Utilitarismus die Mehrheit der Gesellschaft viel stärker geprägt hat."
Neuauflage des "Literarischen Quartetts"
Die freie Rede freier Meinungsinhaber soll nach dem Willen der Programmverantwortlichen beim ZDF künftig wieder im Literarischen Quartett zur Geltung kommen. Nach mehrjähriger Pause wird die Sendereihe, durch die einst Marcel Reich-Ranicki zum Superstar wurde, im Herbst mit Volker Weidermann, Maxim Biller und Christine Westermann neu gestartet. Nicht aber mit Denis Scheck, über den es in der SÜDDEUTSCHEN hieß:
"Mit seiner rhetorischen Brillanz, seiner Fernseherfahrung und seiner Fähigkeit zum schnellen, scharfen und pointierten Urteil wäre der Literatur-Bajazzo Scheck die Idealbesetzung für die Nachfolge Reich-Ranickis auf dem verwaisten Thron des 'Literarischen Quartetts'. Dummerweise ist er bei der ARD."
Um die Erwartungen zu dämpfen und sich von Reich-Ranicki so elegant wie möglich abzusetzen, stellte sich Weidermann im Interview mit der ZEIT wie folgt vor:
"Ich heiße anders, ich sehe anders aus, ich war nicht im Warschauer Getto, ich habe eine andere Stimme, ich bin ein paar Jahre später auf die Welt gekommen, und ich lebe noch."
Im übrigen ist jede Literatursendung im Fernsehen zu begrüßen. Sie kostet ja auch viel weniger als Fußballübertragungen, und der Literaturbetrieb ist sogar ein kleines Bißchen weniger korrupt als die FIFA. Dabei hängt mal wieder alles mit allem zusammen, wie Michael Hanfeld in der FAZ scharfsinnig analysierte:
"Zwischen 2010 und 2014 hat die Fifa einen Umsatz von 5,7 Milliarden Dollar gemacht. Ein Großteil davon stammt aus der Vermarktung der Fußball-Weltmeisterschaften. Diese beruht zum überwiegenden Teil auf dem Verkauf von Fernsehrechten, vor allem in Europa."
Wie schön, dass beim Radio alles viel bescheidener ist. Wir sind eben die Guten.
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